Mannheims Ex-OB Peter Kurz: „Die Modernisierungsagenda ist ambitioniert”
Bund und Länder wollen den Staat reformieren. Im Interview erklärt Mannheims langjähriger Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD), was ihm an den geplanten Maßnahmen gefällt, was ihn stört und welche Bürokratie-Probleme er selbst erlebt hat.
IMAGO / dts Nachrichtenagentur
Peter Kurz, ehemaliger Oberbürgermeister von Mannheim (Archivbild von 2023)
DEMO: Bund und Länder haben eine Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung beschlossen. Mit rund 200 Einzelmaßnahmen wollen sie den Staat effizienter und bürgerfreundlicher machen. Wie ist Ihr erster Eindruck von dem Paket?
Peter Kurz: Die Modernisierungsagenda ist ambitioniert, das muss man anerkennen. Dafür sprechen der Detaillierungsgrad und die Quantität der Vereinbarungen, auch wenn natürlich noch einige Vorbehalte reinformuliert wurden. Insofern wird es nun darum gehen, dass die jeweiligen politischen Spitzen in den Ländern am Ball bleiben. Was mir allerdings fehlt, ist ein klares Zielbild, das die zentralen Fragen der Modernisierung und der politischen Prozesse beantwortet. Die Agenda geht auf die zentrale Rolle der Kommunen im demokratischen Staat ebenso wenig ein wie auf den notwendigen Kulturwandel in Politik und Verwaltungen.
Notwendiger Kulturwandel – was meinen Sie damit?
Es geht darum, wie Politik und Verwaltungen Probleme lösen. Ziel muss es sein, dass man sich an Ergebnissen orientiert, auf dem Weg korrekturbereit ist und weniger auf Input, Prozesse, Absicherung und Fehlervermeidung fixiert ist. Letzteres prägt die öffentlichen Verwaltungen. Diese traditionellen Kulturen behindern unsere Leistungsfähigkeit.
Sie waren selbst von 2007 bis 2023 Oberbürgermeister von Mannheim. Welche konkreten Probleme in der Verwaltung haben sie dort wahrgenommen?
Natürlich die beschriebenen Themen und die Hürden für bereichsübergreifende Kooperation. Enge Vorgaben, die zwischen Kontrolle und Vertrauen keine vernünftige Balance finden. Ein typisches Thema war, dass Fördergelder zu beantragen – auf die wir oft angewiesen waren – mit einem großen Aufwand verbunden war und die Prozesse erheblich verlangsamt hat. Zum Beispiel durch Ausschreibungsvorgaben, die über die sowieso bindenden Regelungen hinausgehen, oder durch das Warten auf Freigabebescheide. Dazu kommen komplexe Förderanträge und Berechnungen. Da geht schon in den Beziehungen zwischen öffentlichen Institutionen viel Kraft und Effektivität verloren.
Welche der 200 geplanten Maßnahmen in der Modernisierungsagenda hat Sie besonders gefreut?
Positiv überrascht war ich, dass auch das Thema der untergesetzlichen Normen angesprochen wird. Also Vorschriften, die viel Bürokratie und Aufwand erzeugen, aber gar nicht politisch gesteuert sind. Außerdem ist zu erkennen, dass den vielen Einzelmaßnahmen eine wichtige Weichenstellung unterliegt: Nämlich, dass sich auch die Länder zu einer Zentralisierung bekennen, insbesondere im Bereich der Digitalisierung. Das heißt, der Bund bekommt mehr Zuständigkeiten dafür, dass das vernünftig umgesetzt wird – beziehungsweise die Länder müssen sich zusammenschließen. Verfassungsrechtlich ist das nicht ganz einfach, es gab auch immer große Widerstände schon gegen den Ansatz. Aus meiner Sicht ist das aber ein zentraler und wichtiger Schritt.
Einige Begriffe aus der Agenda dürften den meisten Bürger*innen kaum etwas sagen, etwa „Deutschland-Stack“. Worum geht es da und warum hat das etwas mit unserem Alltag zu tun?
Es geht darum, dass öffentliche Verwaltungen auf gemeinsame technische Infrastrukturen zurückgreifen können und auf eine Sammlung digitaler (Fach-)Verfahren, die miteinander kooperationsfähig und technisch aufeinander abgestimmt sind. Bisher ist es so, dass dezentral Lösungen eingekauft oder gar selbst erstellt werden und das alles vorne und hinten nicht zusammenpasst. Auch deshalb muss ich als Bürger immer wieder die gleichen Eingaben eintragen und werde mit ganz unterschiedlichen Logiken und Masken konfrontiert.
Kommunen berichten, dass ihnen ständig neue Aufgaben aufgebürdet würden. Es fehle aber das Geld und Personal, um all das zu erledigen. Kann eine Effizienz-Agenda diese Probleme lösen?
Sie kann einen Beitrag leisten, ist aber als Lösung nicht ausreichend. Natürlich ist die Digitalisierung hochrelevant, um die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung aufrechtzuerhalten. Das Personal, um die ganzen Aufgaben wie bisher so stark händisch abzuarbeiten, wird es in Zukunft gar nicht mehr geben.
Mehr Digitalisierung wird aber nicht ausreichen, um die kommunalen Nöte insbesondere im finanziellen Bereich zu beseitigen. Ein Beispiel ist die Ganztagsbetreuung an Schulen. Gesellschaftlich ist das gewollt. Für die Kommunen bedeutet es zusätzlichen Aufwand. Das können sie aber gar nicht rationalisieren im Sinne digitaler Effizienzsteigerung. Deshalb müssen neben Effizienz die Themen Entlastung und Standards und Stärkung der Finanzkraft der Kommunen dringend angegangen werden und Teil der Modernisierungsagenda sein.
Wurden die Kommunen Ihrer Meinung nach ausreichend in den Reformprozess einbezogen?
Nein, und das ist für mich ein Kernkritikpunkt. Wenn solche Agenden entwickelt werden, sind die Kommunen in der Regel nicht Teil der Prozesse. Zwar heißt es jetzt im fertigen Papier, man wolle bessere Rechtsetzung und dazu gehörten Praxistests und die Einbeziehung der Kommunen. Für mich ist es aber ein Warnsignal, dass man sie dann nicht auch hier gleich am Anfang ins Boot geholt hat, als es darum ging, die Weichen zu stellen. Am Ende wird auch die Modernisierungsagenda zu erheblichen Teilen auf kommunaler Ebene umgesetzt werden. Deshalb sollte man in eine andere Form des Austausches kommen, wenn es darum geht, wie die Verwaltungen in den Städten und Gemeinden effizienter arbeiten können. Damit meine ich nicht nur Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden. Sondern man muss schon am Anfang der Entscheidungsprozesse mit auf die Ebene derer gehen, die vor Ort in der Praxis stehen.
Peter Kurz war bis 2023 Oberbürgermeister von Mannheim. Er ist Senior Fellow bei „Re:Form“, laut Eigenbeschreibung eine Allianz von Verwaltungspionier*innen aus Bund, Ländern und Kommunen, die gemeinsam am Staat von morgen arbeiten.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.