Schaustellerbund: „Volksfeste sind Teil des gemeinschaftlichen Lebens”
Volksfeste sehen sich zunehmenden Sicherheitsanforderungen ausgesetzt. Die Stand- und Karussellbetreiber leiden aber auch unter Bürokratie und Fachkräftemangel. Ein Interview mit Frank Hakelberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Schaustellerbundes.
Thomas Imo/photothek.net
Kettenkarussell: Jahrmärkte und Volksfeste gehören zum Gemeinschaftsleben der Kommunen fest dazu.
DEMO: Die Sicherheitsanforderungen für Volksfeste und andere öffentliche Veranstaltungen sind nach mehreren Anschlägen gestiegen. Welche Folgen hat das für die Schaustellerbranche?
Frank Hakelberg: Nach dem Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz haben erst Weihnachtsmärkte und später auch Volksfeste ihre Sicherheitsvorkehrungen deutlich verstärkt, sichtbar etwa mit Betonbarrieren oder LKW-Sperren, aber auch im Hintergrund. Kurzzeitig gab es die Neigung, die doch erheblichen Kosten dafür den Schaustellern mit erhöhten Standgeldern in Rechnung zu stellen. Aber wir können das finanziell nicht leisten. Und wir sind auch nicht dafür zuständig. Die Abwehr von Terror ist Aufgabe des Staates. Die Angriffe galten uns allen, unserer Art zu leben, miteinander Feste zu feiern. Die Gefahr geht von den Attentätern aus, nicht von den Betreibern der Mandelwagen, Glühweinstände, Eiskonditoreien, Verlosungen oder Kinderkarussells. Warum sollen wir dafür zahlen? Es dauerte einige Zeit, bis wir das in der oft in den Kommunen stattgefundenen Diskussion klarstellen konnten, in Berlin gab es dazu auch einen Musterprozess, der uns bestätigt hat. Da sollte der Veranstalter eines Weihnachtsmarktes für circa 40.000 Euro Betonbarrieren anschaffen, bevor er eröffnen darf. Er sagte: Das zahle ich nicht. Damit hat er auch recht bekommen.
Viele Kommunen sind knapp bei Kasse. Wenn sie sich solche Sicherheitsmaßnahmen nicht leisten können und die Schausteller auch nicht – steigt dann nicht die Gefahr, dass die Veranstaltungen abgesagt werden?
Die Gefahr besteht! Gerade viele kleinere Feste werden ehrenamtlich organisiert, etwa das Schützenfest oder das Dorf- oder auch Feuerwehrfest. Hier erleben wir, dass zum Beispiel Vereine, die diese Veranstaltungen seit Jahren und Jahrzehnten mit Herzblut auf die Beine stellen, im Dickicht steigender Sicherheitsanforderungen entnervt aufgeben. Manchmal haben die genehmigenden Mitarbeiter in den Kommunen, aber auch die Mitglieder der örtlichen Vereine Angst, irgendetwas falsch zu machen oder gar persönlich haften zu müssen.
Deshalb hat unser Verband die Innenministerien angemahnt, den kleinen Kommunen mehr Service zu bieten, ansprechbarer zu sein und dem manchmal zu beobachtenden Überbietungswettbewerb von Sicherheitsanforderungen Einhalt zu gebieten.
In Schleswig-Holstein hat sich die Schaustellerbranche kürzlich über Bürokratie und hohe Auflagen der kommunalen Ordnungsämter beschwert. Das Thema beschäftigte den Wirtschaftsausschuss des Landtages. Sind solche Klagen auch aus anderen Bundesländern zu hören?
Was Sie ansprechen, betrifft die reisenden Gastronomen, die Bier, Wein oder Bowle ausschenken. Stellen Sie sich vor, Sie wollen in Ihrer Stadt eine Kneipe aufmachen: Dann beantragen Sie dafür einmal eine Zulassung und wenn alles in Ordnung ist und bleibt, können Sie die Kneipe jahrzehntelang betreiben.
Schausteller haben eine Reisegewerbekarte, mit der sie ihre Zuverlässigkeit nachweisen. Das ist gewissermaßen das Pendant. Aber: Mit einem Alkoholausschank reisende Schausteller mussten in der Vergangenheit für jedes einzelne Fest zusätzlich eine weitere Genehmigung, eine sogenannte Gestattung beantragen – mit Zuverlässigkeitsprüfungen, Schriftverkehr und so weiter, natürlich auch Gebühren. Wenn sie 25 Feste pro Jahr beschicken, waren das 25 Verwaltungsverfahren. Sogar dann, wenn sie seit Jahren auf dem Fest standen, mit dem Bürgermeister per Du waren und im Ordnungsamt schon jeden persönlich kannten. Das war eine absurde Bürokratie.
Was hilft dagegen?
Der Bund hat die Bundesländer mit einem Mittelstandsentlastungsgesetz dazu eingeladen, das zu ändern, indem sie sich eigene Gaststätten-Gesetze geben. Mein Heimatland Niedersachsen und einige andere Länder haben das umgehend getan. Dort muss ein reisender Gastronom, dessen Zuverlässigkeit ja schon mit der Reisegewerbekarte dokumentiert ist, dem Ordnungsamt nur noch Bescheid geben, wann er auf welchem Volksfest ist.
Die zögernden Bundesländer haben wir aufgefordert, endlich diese Bürokratie abzubauen. Wir haben sogar bei der Juristischen Fakultät der Universität München ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Ergebnis kommt, dass die doppelte Erlaubnispflicht – also die Reisegewerbekarte plus eine Gestattung für jedes einzelne Fest – verfassungswidrig ist.
Die Länder haben reagiert: NRW, Bayern haben die Gestattung de facto abgeschafft, Baden-Württemberg und Berlin geben sich gerade eigene Gaststättengesetze. Schleswig-Holstein hat eine sogenannte „Dauergestattung“ eingeführt, die man nur einmal beantragen muss. Hinsichtlich der dafür erforderlichen Kriterien waren aber die Kommunen etwas uneins. In Gesprächen mit der Landesregierung konnten das ein Stück weit kanalisiert werden.
Mecklenburg- Vorpommern hält noch an der Gestattungsbürokratie fest, auch wenn es bundesweit noch nie einen Fall gegeben hat, wo durch den Verzicht darauf ein Verlust an Sicherheit und Ordnung zu beklagen gewesen wäre. Aber wir bleiben zuversichtlich. Immer.
Die Energiepreise sind nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zeitweise stark gestiegen. Hat die Schausteller-Branche die Kosten an die Kundinnen und Kunden weiterreichen können?
Es stimmt, der Strom ist teurer geworden. Leider hat uns auch die Strompreisbremse von Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck nicht helfen können. Davon haben nur energieintensive Betriebe profitiert, die immer an festen Orten sind und nicht pro Jahr an 20 oder 25 unterschiedlichen Stromentnahmestellen. Das war bitter. Wir konnten und wollten die gestiegenen Kosten auch nicht einfach weiterreichen. Denn wir sind darauf angewiesen, dass Volksfeste wirklich für alle Menschen da sind. Unser Zielpublikum sind die Familien. Wenn die Familie zu uns kommt muss sie häufig alles mal vier kaufen. Deshalb haben die Schausteller selbst Einbußen in Kauf genommen, um die Preise erträglich zu halten. Die Senkung der Stromsteuer hätte uns geholfen. Aber das ist ja nun erstmal für uns auf Eis gelegt. Das führt auch in unserer Branche zu Unverständnis.
Frank Hakelberg
Wir brauchen Leute, die zupacken können. Die Lust haben. Das können sehr gerne auch Geflüchtete sein.
Findet die Schaustellerbranche noch genügend Nachwuchs und Fachkräfte?
Viele Schausteller reisen in der fünften oder sechsten Generation. Die eigenen Kinder werden meist auch Schausteller und lieben das. Es gibt also Nachwuchs. Trotzdem haben wir aber einen eklatanten Arbeitskräftemangel. Früher gab es oft Schilder auf der Kirmes, dass „junge Männer zum Mitreisen gesucht“ wurden. Das war für manche ein Abenteuer.
Irgendwann haben die Schausteller aber praktisch keine deutschen Mitarbeiter mehr gefunden, denn die Arbeit ist fordernd und das Saisongeschäft ist nicht jedermanns Sache. Dann wurde die Arbeit erst von polnischen, später von rumänischen Mitarbeitenden übernommen. Seit diese Länder vollwertige EU-Mitglieder sind, geht es ihnen wirtschaftlich besser. Die rumänischen Arbeitskräfte haben nun weniger Gründe, in die Ferne zu ziehen.
Deshalb wünschen wir uns neue Drittstaatenregelungen, damit zum Beispiel auch Menschen aus Georgien oder Moldawien für mehrere Monate bei uns arbeiten können. Wir brauchen Leute, die zupacken können. Die Lust haben. Das können sehr gerne auch Geflüchtete sein. Wo lernt man einander besser kennen und verstehen, als bei gemeinsamer Arbeit und gemeinsamen Mahlzeiten.
Und um das klarzustellen: Die Schaustellerbranche zahlt natürlich den Mindestlohn und oftmals deutlich darüber hinaus. Wie gesagt: Bei uns muss angepackt werden. Außerdem bieten wir meist auch Unterkunft und Verpflegung. Typischerweise reisen die Mitarbeiter ein halbes Jahr mit den Schaustellerfamilien, von Ostern bis in den Herbst. Und dann geht es zurück in die Heimat, wo man dann im Winterhalbjahr das angesparte Geld nutzt, um sich zuhause eine Existenz aufzubauen. Und nächstes Jahr sieht man sich wieder.
Im Dezember 2023 hat der Deutsche Schaustellerbund gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden ein Positionspapier veröffentlicht: „Volksfeste als Teil gelebter traditioneller Kultur in den Kommunen“. Was war der Anlass?
Wir stehen in sehr gutem Kontakt mit zum Beispiel mit dem Deutschen Städtetag und dem Städte- und Gemeindebund, weil meist die Kommunen die Veranstalter sind. Uns ist immer wichtig zu betonen, dass Volksfeste nicht irgendein Angebot auf dem Freizeitsektor sind, sondern Menschen zusammenbringen, miteinander zu feiern, ganz analog. Viele Feste sind ein wesentlicher Teil des gemeinschaftlichen Lebens. Besonders in kleineren Kommunen sind sie oftmals durch die Vereine geprägt. Sie sind oft voller Tradition und Geschichte und zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie keinen Eintritt nehmen. Natürlich macht es bei uns mehr Spaß mit ein paar Scheinen in der Tasche, aber auch wer wenig Geld hat, ist uns willkommen, kann dabei sein, zumindest ein Bier trinken oder eine Pommes essen. Diese Möglichkeit zur Teilhabe gibt es in Fußballstadien oder auf Konzerten nicht.
Haben Sie aus heutiger Sicht den Eindruck, dass das Positionspapier Impulse gesetzt hat?
Es hat noch einmal die Wahrnehmung dafür erhöht, dass Volksfeste etwas Besonderes sind. Die Veranstalter, die Sicherheitsbehörden, die Vereine und auch wir Schausteller müssen mit viel Fingerspitzengefühl alles dafür tun, diese für die Gesellschaft – gerade jetzt – so wichtigen Institutionen weiterhin mit Leben zu füllen. Mit dem Papier wollten wir dafür sensibilisieren, und ich denke, das ist gelungen.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.