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Studie: die Brandmauer nach rechts steht noch

Die starre Abgrenzung der etablierten Parteien zur AfD wird auf kommunaler Ebene nicht immer durchgehalten. Trotzdem zeigt eine umfassende Auswertung des WZB: Die sogenannte Brandmauer ist stabiler, als viele vermuten.

von Carl-Friedrich Höck · 18. September 2024
Schild mit Aufschrift Nein und durchgestrichenem Hakenkreuz

Demonstration gegen rechts im Februar 2024: Zur AfD nein zu sagen gelingt den Kreistagsmitgliedern anderer Fraktionen nicht immer.

Über Sinn und Unsinn der sogenannten Brandmauer zur rechtsextremen AfD wird seit langem heftig diskutiert – zumindest, wenn es um die Arbeit in Städten, Gemeinden und Landkreisen geht. Immer wieder berichten Medien über Beispiele aus Kommunen, wo das Gebot der vollständigen Abgrenzung der demokratischen Parteien nach rechts nicht immer eingehalten wird. „Die Brandmauer zur AfD hat es auf kommunaler Ebene nie gegeben“, sagte vor einem Jahr auch der mittlerweile zurückgetretene sächsische Landrat Dirk Neubauer.

Stimmt das? Ein Team des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) hat dazu jetzt neue Erkenntnisse vorgelegt. Für eine Untersuchung haben Wolfgang Schroeder, Daniel Ziblatt und Florian Bochert systematisch Daten aus allen ostdeutschen Landkreisen ausgewertet. „Insgesamt zeigt unsere Studie, dass die umstrittene Brandmauer (...) in den letzten fünf Jahren zwar durchaus Risse bekommen hat, aber insgesamt weitaus stabiler ist, als vielfach vermutet wird,“ schreiben die Forscher.

Nur acht Kreise haben Brandmauer immer durchgehalten

Von Mitte 2019 bis Mitte 2024 wurden für die Analyse Daten aus 58 ostdeutschen Landkreisen und 17 kreisfreien Städten ausgewertet. Weil die AfD in Rostock in einem Großteil dieser Zeit nicht im Stadtrat vertreten war und aus fünf Landkreisen zu wenig Datenmaterial vorlag, sind 69 Kreise verblieben, die genauer untersucht werden konnten. Lediglich in acht dieser Kreise konnten die Forscher über den gesamten Zeitraum hinweg keinen einzigen Fall von Kooperation mit der AfD ausmachen.

Der Begriff Kooperation wurde dabei recht eng definiert: Mindestens ein Abgeordneter, der nicht der AfD angehört, stimmt einem AfD-Antrag zu oder gibt bei einer Personenwahl einer von der AfD nominierten Person ihre Stimme. Als Kooperation wurde außerdem gewertet, wenn eine andere Partei eine gemeinsame Fraktionen mit der AfD gebildet hat. Bestimmte Entscheidungen, die häufig konsensual getroffen werden – wie Geschäftsordnungsanträge oder Blockwahlen – haben die Forscher in der Analyse bewusst ignoriert.

Das WZB hat insgesamt 2.348 Anträge der AfD ausgewertet. In 484 Fällen wurde mit der rechten Partei kooperiert. Das entspricht einem Anteil von 20,6 Prozent. Das klingt zunächst nach viel. Allerdings enthält diese Statistik potenziell auch Fälle, in denen nur ein einzelnes zusätzliches Rats- oder Kreistagsmitglied einen AfD-Antrag unterstützt hat. Das konnte zum Beispiel auch ein fraktionsloser oder ein NPD-Abgeordner sein. Deshalb haben die Forscher zusätzlich sogenannte „starke Kooperationen“ erfasst. Das bedeutet: Mindestens fünf Nicht-AfD-Abgeordnete stimmen für einen Antrag der Rechtsextremen. Das war bei 10,2 Prozent aller AfD-Anträge der Fall.

Starke AfD-Ergebnisse führen nicht zu mehr Kooperationen

Regional gab es erhebliche Unterschiede. Unter den Bundesländern liegt Sachsen-Anhalt mit einigem Abstand vorn: Hier lag der Anteil der von anderen Abgeordneten unterstützten AfD-Anträge bei 27 Prozent (14,5 Prozent „starke Kooperationen“). Was den Wissenschaftlern auffiel: Gerade dort, wo die AfD besonders stark vertreten ist, grenzen sich die anderen Parteien konsequenter ab. „Das könnte zum Beispiel damit zu erklären sein, dass die politische Atmosphäre in diesen Kreisen durch die starke Präsenz der AfD politisierter ist und dadurch ein verstärkter Wert auf die Brandmauer gelegt wird“, heißt es in der Studie.

Was die Themen der Zusammenarbeit betrifft, offenbart die Studie wenig Überraschendes. Kooperationen gab es besonders häufig bei organisatorischen Fragen (wie der Geschäftsordnung des Kreistages) und bei infrastrukturbezogenen Aufgaben. Darunter fallen unter anderem verkehrspolitische Entscheidungen über Ampeln, Zebrastreifen oder Parkplätze. Auch, wenn es um das Thema Gendern ging, fand die AfD oft Unterstützung aus den anderen Reihen. Nur selten wurde dagegen bei kontroversen bundespolitischen Themen wie Sicherheit oder Asyl kooperiert.

Um zu beantworten, welche Parteien besonders häufig AfD-Initiativen unterstützen, hatten die Forscher nur eine vergleichsweise dünne Datenlage zur Verfügung. Denn so genau wird das in den Protokollen der Stadtrats- und Kreistagssitzungen oft gar nicht festgehalten. Wo es sich nachvollziehen ließ, waren es besonders häufig CDU-Abgeordnete, die Anträge der AfD unterstützten oder sogar gemeinsame Anträge formulierten. Auf Platz zwei folgt die FDP. Doch keine etablierte Partei habe es geschafft, die Brandmauer in allen ostdeutschen Kreisen grundsätzlich und ohne Abweichungen aufrechtzuerhalten.

Wie geht es mit der Brandmauer weiter?

Das wirft die Frage auf, welche Zukunft die Brandmauer noch hat. Die Forscher halten vier mögliche Szenarien für denkbar. Erstens: Es geht so weiter wie gehabt. Das berge das Risiko, dass die AfD schleichend normalisiert werden könnte – und Kooperationen irgendwann auch auf Landes- oder Bundesebene kein Tabu mehr sind. Ähnlich riskant wäre aus Sicht des WZB die Strategie, die Brandmauer neu zu justieren. In diesem Szenario würde sie nur für kontroverse Themen wie Asyl und Migration aufrechterhalten werden. Wenn es aber zum Beispiel darum geht, einen Zebrastreifen einzurichten, würde das Kooperationsverbot aufgehoben werden. Auch diese Strategie könnte perspektivisch zu einem Dammbruch führen, warnen die Forscher.

Das dritte Szenario: Die anderen Parteien halten die Brandmauer zur AfD noch konsequenter ein als bisher. Etwa, indem sie lieber einen eigenen Antrag zum Thema stellen, wenn sie eine Initiative der AfD inhaltlich richtig finden. Doch das Szenario sei angesichts der bisherigen Erfahrungen unwahrscheinlich, meinen die Studienautoren. Somit bleibt Option vier übrig: Die Brandmauer wird komplett abgeschafft. Aus Sicht der Forscher wäre das bedenklich – schließlich entscheiden kommunale Parlamente nicht nur über wichtige Angelegenheiten, sondern gelten auch als „Schule der Demokratie“. Auf lange Sicht könnte sich die Abgrenzung nach Rechtsaußen auch auf nationaler Ebene auflösen.

Dass die Strategie der Brandmauer dabei helfen kann, einen weiteren Aufschwung rechter Kräfte zu verhindern, habe die Geschichte gezeigt, erklären die Wissenschaftler. Sie verweisen auf Erfahrungen aus Belgien und Finnland in den 1920er und 1930er Jahren. Auch die nun vorgelegte Studie zeige, dass die Brandmauer funktionieren könne. „Um sie fortzuführen, braucht es engagierte Demokraten und strategisch klug aufgestellte Parteien“, schreiben die Autoren.

 

Wolfgang Schroeder, Daniel Ziblatt, Florian Bochert:
Brandmauer – is still alive!
Empirische Ergebnisse zur Unterstützung der AfD in den ostdeutschen Kommunen durch etablierte Parteien (2019-2024)
Zum Download verfügbar unter: wzb.eu

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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