Aktuelles

Tourismus: Wie Kommunen den autofreien Urlaub attraktiv machen

Urlauber*innen lassen sich zum Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel bewegen. Dafür muss das Angebot während der Reise aber lückenlos und problemlos buchbar sein. Das betonten Expert*innen in der Bundestagsanhörung „Mobilitätswende im Tourismus“.

von Uwe Roth · 4. Juli 2024
Autos stehen oder fahren auf einer Autobahn vor grün bewaldeten Hängen

Urlaubszeit ist Stau-Zeit. Kommunen arbeiten an Lösungen, um Tourist*innen einen stressfreien Urlaub ohne eigenes Auto zu ermöglichen.

Laut einem Umweltprogramm der Vereinten Nationen werden die CO2-Emissionen im weltweiten Tourismus zu 75 Prozent durch die An- und Abreise und die Mobilität vor Ort verursacht. Wie der Urlaubsverkehr nachhaltiger werden kann, damit befasste sich am Mittwoch der Tourismus-Ausschuss des Deutschen Bundestages in einer öffentlichen Anhörung.

In der Theorie, so stellte Kerstin Hurek vom Auto Club Europa (ACE) fest, sei das Bewusstsein der Urlaubsreisenden für die Umwelt gestiegen. Sie zitierte eine Studie, laut der 68 Prozent der Bevölkerung ökologische oder soziale Nachhaltigkeit bei Urlaubsreisen wichtig finden. Wobei der soziale Aspekt etwas mehr Zustimmung erfährt als der Umweltaspekt.

Autokolonnen und Overtourism

Die Realität sieht seit den 1950ern mit dem Aufkommen des Massentourismus unverändert aus: Lange Staus zum Start und zum Ende der Ferien. Die Zufahrtswege zu den Urlaubsorten sind heillos überfüllt. „Das Auto spielt nach wie vor bei Urlaubsreisen die größte Rolle“, sagte Hurek, trotz der Beteuerungen, mehr auf die Umwelt achten zu wollen.

Inzwischen kommt zu den Belastungen durch den Individualverkehr ein weiteres Ärgernis für die Bevölkerung attraktiver Urlaubsregionen hinzu: Overtourism, wie auch die anderen Fachleute im Gespräch sagten. Unter einem Übertourismus leiden nicht nur Mega-Destinationen wie Venedig oder Mallorca, sondern zunehmend deutsche Urlaubsgebiete. Das sind die negativen Folgen des innerdeutschen Touristik-Booms seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Laut dem Statistischen Bundesamt lag der Anteil des Autos bei Reisen mit Übernachtung bei 58 Prozent. Flugreisen kamen auf 16 sowie Bahnreisen auf 19 Prozent.

Planungssicherheit gegen Stress im Urlaub

Wie der Anteil des letzteren Transportmittels in die Höhe geschraubt werden kann, dazu gibt es bereits einige Erkenntnisse, wie Maximilian Hillmeier, Tourismusdirektor in Bad Hindelang; Stefan Lösel, Geschäftsführer der Verkehrsgesellschaft Ludwigslust-Parchim mbH und Dr. Jan Schilling, Vorstand Marketing DB Regio AG, schilderten. Der Schlüssel zu einer besseren Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zum Verreisen ist der gleiche wie zuhause: Die verschiedenen Verkehrsmittel müssen gut aufeinander abgestimmt sein. Über eine App müssen sämtliche Fahrpläne aufrufbar und ein Ticket für die gesamte Reise buchbar sein. Verlässlichkeit hat nicht nur für die Bahnreise eine zentrale Bedeutung, sondern auch für die Mobilität am Urlaubsort. Wenn man bei der Planung der Reise nicht sicher ist, wie man vom Hotel oder der Pension wegkommt, wählt man sicherheitshalber doch das Auto.

Bad Hindelang in den Allgäuer Hochalpen macht es vor, wie Tourismusdirektor Hillmeier berichtete. Die Gemeinde hat 5.200 Einwohner*innen und jährlich rund eine Million Übernachtungen. Laut BUND hat sich der Kreis der Personen, die mit dem Auto innerhalb von 2,5 Stunden in die Allgäuer Alpen fahren können, zwischen 1979 und 2020 in etwa verdreizehnfacht. Das Projekt zum Gegensteuern heißt EMMI-MOBIL.

Es ist aus dem Tourismus entstanden und folgt der On-Demand- („nach Bedarf“) und Last Mile- („letzte Meile“) Philosophie. Urlaubsgäste können eine App aufs Handy laden und damit zwei elektrische Kleinbusse nutzen, die im Gemeindegebiet unterwegs sind und das herkömmliche ÖPNV-Angebot ergänzen. Die App-Lösung sei „vollkommen bedarfs- und routenoptimiert und damit die Lösung für den ländlichen alpinen Raum“, zeigte sich Hillmeier überzeugt. Mit „unzähligen virtuellen Haltestellen“ seien Einwohner*innen und Urlaubsgäste „quasi ab der Haustür mobil“, und zwar genau dann, wenn die Mobilität gebraucht werde. Finanziert wird EMMI-MOBIL zum größten Teil über die Einnahmen des Kurbeitrags (Gästekarte), ein kleinerer Teil über die Einnahmen der Bürgerkarte und auch Parkplatzgebühren fließen mit ein. Förderungen sind keine enthalten.

Rufbusse – ein Erfolg im ländlichen Raum

Im Landkreis Ludwigslust-Parchim (Mecklenburg-Vorpommern) nahe der Ostsee können sich Urlaubsgäste des Rufbusses bedienen. Stefan Lösel berichtete, wie es funktioniert. Das kommunale Verkehrsunternehmen des Landkreises (VLP) hat rund 230 Omnibusse und 50 Pkw, die auf 175 VLP-Linien verkehren. Das Bediengebiet ist etwa 5.000 Quadratkilometer groß. Der Landkreis ist der zweitgrößte Deutschlands, weist aber mit einer Besiedlungsdichte von 44 Einwohnern je Quadratkilometer die geringste im Land Mecklenburg-Vorpommern und eine der niedrigsten Deutschlands auf. Das Rufbus-System existiert seit 2019 im Stundentakt.

Das Verkehrsunternehmen erbringt die Rufbus-Leistungen rund um die Uhr mit 60 Fahrern und 37 Fahrzeugen selbst. Der Rufbus ergänzt den Linienverkehr in Schwachlastzeiten und ersetzt in den Schulferien den vormals nur an einzelnen Wochentagen angebotenen Linienverkehr im ländlichen Raum. „Das Fahrplanangebot hat sich seit der Rufbus-Einführung auf mittlerweile etwa 52 Millionen Fahrplankilometer im Jahr versiebenfacht“, bilanzierte Lösel den Erfolg des Angebots.

DB Regio gibt mit Verkehrspartnern 24/7-Mobilitätsgarantie

Ein erst im April dieses Jahres gestartetes Modellprojekt stellte DB Regio-Vorstand Schilling vor. Es heißt: SMILE24 und wird vom Nahverkehrsverbund Schleswig-Holstein (NAH.SH) und den Kreisen Rendsburg-Eckernförde sowie Schleswig-Flensburg gemeinsam realisiert. Es sei ein auf „die spezifischen Bedingungen eines ländlichen touristischen Mobilitätsraum zugeschnittenes ÖPNV-Angebot“, sagte Schilling, verbunden mit „einer 24/7-Mobilitätsgarantie“. Diese werde überwiegend über On-Demand-Angebote sichergestellt. Erste Auswertungen zeigten, dass „diese Angebote stark nachgefragt werden und die ÖPNV-Nutzung in der Region steigt“. Wenn SMILE24 weiterhin so erfolgreich sei, sollen weitere Modellregionen folgen, kündigte Schilling an.
 

Autor*in
Uwe Roth

ist freier Journalist. Er ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung und dort im Redaktionskreis für eine DIN Einfache Sprache. Webseite: leichtgesagt.eu

0 Kommentare
Noch keine Kommentare