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Was Kommunen für Eltern tun können, die als Kind missbraucht wurden

Viele Eltern haben als Kind oder Jugendliche sexuelle Gewalt erfahren. Eine Studie hat nun untersucht, was diese Menschen beschäftigt. Dabei wurde sichtbar, dass kommunale Unterstützungsangebote Lücken haben.

von Carl-Friedrich Höck · 5. März 2025
Hand eines Babys greift nach dem Finger einer Frau

Der körperliche Umgang mit Babys kann bei Eltern, die selbst als Kind sexuelle Gewalt erfahren haben, Verunsicherung auslösen.

Jede*r siebte Erwachsene hat in der Kindheit oder Jugend sexualisierte Gewalt erlebt, haben Studien belegt. Bisher war wenig darüber bekannt, was es für die Betroffenen bedeutet, später selbst Verantwortung als Eltern zu übernehmen. Das hat ein Forschungsprojekt geändert, für das mehr als 600 Menschen mit Missbrauchserfahrungen befragt wurden. Gefördert wurde das Projekt von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, die 2016 auf Beschluss des Bundestages gegründet wurde. Die Studie wurde am Dienstag vorgestellt.

Die Folgen prägen ein Leben lang

„Die eigene Betroffenheit hat für viele der Befragten eine große Bedeutung, wenn sie über das eigene Elternsein nachdenken“, erklärte die Soziologin und Projektleiterin Barbara Kavemann. Sie fragten sich, ob sie in der Lage sein würden, ihre Kinder zu schützen und gut zu versorgen. Die Gewaltfolgen führten nicht selten zu Schwierigkeiten, eine vertrauensvolle und unterstützende Partnerschaft einzugehen. Auch Sexualität zu leben könne für Betroffene schwierig oder gar unmöglich sein. „Einige Befragte haben sich gegen eigene Kinder entschieden, weil sie befürchteten, dass die eigenen Gewalterfahrungen sich negativ auf ihre Kinder auswirken können.“ 

Co-Autorin Bianca Nagel machte auf eine weitverbreitete, aber falsche Alltagstheorie aufmerksam: Dass insbesondere männliche Missbrauchsbetroffene oft später selbst zu Tätern würden. Betroffene, ihr Angehören und auch Fachkräfte in Sozialer Arbeit oder Pädagogik müssten besser darüber informiert werden, dass diese Behauptung nicht zutreffe, betonen die Autorinnen in ihrer Studie.

Die Geburt wird oft als traumatisch erlebt

Als Betroffene berichtete Ava Anna Johannson von ihren Erfahrungen. Sie ist zweifache Mutter, ihre Kinder sind mittlerweile erwachsen. Es sei wichtig, mit den Kindern über das Thema zu sprechen, unterstrich sie. Diese würden die Folgen spüren, zum Beispiel die Konflikte mit der Herkunftsfamilie. Johannson selbst hatte die Gewalterfahrungen lange verdrängt. Erst als die Kinder neun und elf Jahre alt waren, war dies nicht länger möglich. Ein Trigger-Ereignis hatte die Mutter in einen psychischen Ausnahmezustand versetzt. Erst durch eine Therapie habe sie sich in den Zustand versetzt, sprechen zu können, erzählte sie.

Ein wichtiges Thema für Missbrauchsbetroffene ist laut der Studie auch die Geburt. Sie werde oft als traumatisch erlebt. Johannson bestätigte dies: Es gebe einen Zusammenhang zu den Gewalterfahrungen, weil mit dem Körper viel passiere, es mit Sexualität zu tun habe und andere Menschen am Körper agierten. Im Zuge der Geburt passiere auch Gewalt, es gebe „Dinge, die einfach nicht in Ordnung sind.“ Das habe sie auch selbst so empfunden. Zugleich sei es ihr während der Geburten schwergefallen, die eigenen Bedürfnisse anzumelden. Sie habe den Glaubenssatz zu sehr verinnerlicht, „dass Menschen mit meinem Körper machen können, was sie wollen.“

Sie plädierte dafür, werdende Eltern im Vorfeld auf solche Situationen vorzubereiten. Hebammen könnten darauf eingehen, wie man während der Geburt Grenzen setzen kann. Ebenso müssten medizinisches Personal, Erziehungsberatung und Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen sensibilisiert werden.

Männer finden seltener Unterstützung

Für die Studie wurden Betroffene danach gefragt, welche Unterstützung sie sich wünschen oder in Anspruch genommen haben. Frauen nahmen demnach häufiger Unterstützung in Anspruch als Männer. Das weise auf Lücken im Angebot hin, meinen die Autorinnen der Studie. „Spezialisierte Beratungsstellen für von sexueller Gewalt betroffene Männer gibt es nur in kleiner Anzahl. In die Angebote der Regelversorgung wie Erziehungsberatungsstellen und Frühe Hilfen werden Männer wenig einbezogen.“ Zudem fehle es oft an Informationen, welche Angebote es überhaupt gibt und wer sie nutzen darf. „Eine besondere Leerstelle war die Möglichkeit, sich mit anderen, ebenfalls von sexueller Gewalt betroffenen Eltern austauschen zu können“, heißt es in der Studie.

Grundsätzlich raten die Autorinnen dazu, Fragen und Sorgen, die sich um die Elternschaft von Missbrauchsbetroffenen drehen, stärker in den Blick zu nehmen. Bislang sei die Beratung erwachsener Betroffener ausschließlich ein Thema der auf sexuelle Gewalt spezialisierten Beratungsstellen. Erziehungs- und Familienberatungsstellen sähen sich für diese Zielgruppe kaum zuständig.

Unter anderem raten die Autorinnen: „Angesichts der Verunsicherung, die der körperliche Umgang mit Babys und Kleinkindern bei Betroffenen auslösen kann, sollte bei den Fachkräften der Frühen Hilfen, Entwicklungspsychologischen Beratung (EPB) und Familienzentren Wissen über sexuelle Gewalt in Kindheit und Jugend und ihre Auswirkungen sowie Wissen zu Traumasensibilität aufgebaut werden.“

 

Die Studie „Elternschaft nach sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend” steht zum kostenlosen Download bereit auf aufarbeitungskommission.de.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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