Wie die Gemeindefinanzen neu geordnet werden könnten
Christian Raffer ist Mitarbeiter beim Deutschen Institut für Urbanistik (difu) und Co-Autor einer Studie zur kommunalen Grundfinanzierung. Im Interview erklärt er, warum viele Kommunen tiefrote Zahlen schreiben und was sich dagegen tun lässt.
IMAGO / Wolfilser
Sparen allein reicht oft nicht mehr: Viele Kommunen sind unverschuldet tief in die roten Zahlen gerutscht.
DEMO: Die deutschen Kommunen rechnen für das laufende Jahr mit einem Defizit von 35 Milliarden Euro. Sogar vermeintlich reiche Städte wie München setzen Sparprogramme auf. Was sind die wichtigsten Gründe für diese finanzielle Schieflage?
Christian Raffer: Die Einnahmen und die Ausgaben entwickeln sich zunehmend auseinander. Zwar steigen die Steuereinnahmen weiterhin, aber nicht in dem Maß, wie das mal eingeplant war. Gleichzeitig laufen den Kommunen die Ausgaben davon. Die Personalausgaben steigen, weil im öffentlichen Sektor gute Tarifabschlüsse erzielt wurden. Es wurde in den letzten Jahren zudem Personal aufgebaut, um neue Aufgaben bewältigen zu können, die den Kommunen zugewiesen wurden. Dazu kommt, dass die Sozialausgaben in den vergangenen Jahren enorm gestiegen sind. Das betrifft besonders die Ausgaben für die Wiedereingliederungshilfe – darunter fällt zum Beispiel die Unterstützung für Menschen mit Behinderung oder Langzeiterkrankte – und für die Kinder- und Jugendhilfe.
Welche Kommunen trifft die Finanznot besonders hart?
Deutschlandweit haben Kommunen mit angespannte Haushaltslagen zu kämpfen. Doch nicht jede Kommune rutscht deshalb automatisch ins Defizit. Man kann Sparprogramme aufsetzen, wie es München macht, oder sogenannte Ausgleichsrücklagen in Anspruch nehmen. Sehr hart trifft es jetzt die Kommunen, die schon in den vermeintlich guten Jahren Schwierigkeiten hatten, den Haushalt ordentlich aufzustellen. Das betrifft insbesondere die finanzschwachen Kommunen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen oder dem Saarland.
„Kostensteigerungen sind dann nicht gedeckt”
Laut Grundgesetz sind in erster Linie die Bundesländer dafür zuständig, ihre Kommunen ausreichend finanziell auszustatten. Werden sie der Aufgabe nicht gerecht?
Kommunen beklagen sich regelmäßig, dass es Konnexitätsbrüche gibt. Das ist ein Fachbegriff und heißt: Wenn die Bundesländer ihren Kommunen Aufgaben übertragen, etwa im Sozialbereich, müssen sie diese dafür auskömmlich ausstatten. Das passiert in der Regel anfangs auch. Später laufen den Kommunen aber die Kosten davon, weil zum Beispiel Preise steigen, sich die soziale Lage verändert oder Standards ausgeweitet werden. Solche Kostensteigerungen sind dann nicht gedeckt, weil die Kommunen weiterhin nur die pauschale Summe bekommen, die ursprünglich einmal vereinbart worden ist.
In einer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung schlagen Sie eine Neuordnung der Gemeindefinanzierung vor. Ziel soll es sein, dass alle Kommunen auskömmlich finanziert werden, unabhängig von Sonderprogrammen, also Fördermitteln. Wie kann das gelingen?
In unserer Studie diskutieren wir eine ganze Reihe von Vorschlägen. Lassen Sie mich drei prominente Beispiele nennen: Erstens kann die Gewerbesteuer reformiert werden. Sie ist die wichtigste kommunale Steuer. Ihr Nachteil: Sie ist stark von der Konjunktur abhängig, weil der Gewinn von Unternehmen besteuert wird. Wenn die Wirtschaft schwächelt, bricht sie ein und das können Kommunen nur schwer ausgleichen. Das könnte man ändern, indem die Gewerbesteuer zu einer lokalen Wertschöpfungssteuer weiterentwickelt wird. Die Basis für die Steuer wäre dann nicht mehr nur der Gewinn, sondern das Gewerbekapital und vielleicht auch noch die Lohnsumme oder Mieten und Pachten. Damit wäre die Steuer nicht mehr so starken Schwankungen unterworfen. Wir schlagen auch vor, den Kreis der Steuerpflichtigen auszuweiten, also neben klassischen Unternehmen auch Selbständige, Freie Berufe oder die Landwirtschaft zu besteuern. Im Gegenzug könnten die Hebesätze, also die Steuersätze, gesenkt werden.
Was sind Ihre weiteren Vorschläge?
Der zweite Vorschlag besteht darin, die Verteilung der Gemeinschaftssteuern anzupassen. Also der Steuern, die auf Bundesebene erhoben und dann auf die verschiedenen staatlichen Ebenen verteilt werden. Für Kommunen besonders wichtig sind die Umsatzsteuer und die Einkommenssteuer. Von der Umsatzsteuer erhalten die Kommunen zwei Prozent, dieser Gemeindeanteil sollte erhöht werden.
Außerdem könnte man an der Ausgabenseite drehen, indem der Bund weitere Sozialausgaben der Kommunen übernimmt. Im Gespräch sind da die Kinder- und Jugendhilfe und die Eingliederungshilfe.
„Durch die Neuverteilung wird der Kuchen nicht größer”
Einige ihrer Vorschläge werden schon länger diskutiert. Warum fällt es dem Bund und den Ländern bisher so schwer, die finanzielle Grundausstattung der Kommunen zu verbessern? Wenn es Geld für Gemeinden gibt, dann oft nur in Form von Förderprogrammen, die mit vielen Auflagen und Bürokratie verbunden sind.
Die Antwort ist relativ einfach: Durch die Neuverteilung der Gemeinschaftssteuern wird der Kuchen der Steuereinnahmen insgesamt nicht größer. Wenn die Kommunen mehr Geld bekommen, muss eine andere Ebene Mittel abgeben. Bund und Länder wollen das nicht, denn sie haben ähnliche Probleme. Auch bei ihnen brechen durch die schwache Konjunktur Einnahmen weg. Eine Lösung wäre es, einen etwas größeren Kuchen zu backen, sprich mehr Einnahmen zu generieren. Allerdings ist die konjunkturelle Situation, in der wir uns befinden, kein guter Zeitpunkt, um Steuern zu erhöhen.
Die Ministerpräsident*innen und der Bundeskanzler wollten am 4. Dezember darüber sprechen, wie eine faire Kostenübernahme des Bundes für finanzielle Belastungen aussehen kann, welche in den Ländern und Kommunen durch Bundesgesetze ausgelöst werden. Nun wurden die Gespräche aufs nächste Jahr vertagt. Haben Sie das verstanden?
Gut finde ich es jedenfalls nicht. Eine schnelle Lösung wäre geboten. Allerdings sind Reformen der föderalen Finanzbeziehungen stets kompliziert, schwer umzusetzen und langwierig. Schließlich sind die Besitzstände der verschiedenen Akteure betroffen. Alle haben Angst, am Ende schlechter dazustehen als vorher. In der jüngeren Vergangenheit gab es bereits zweimal Kommissionen, die sich mit einer besseren Ausstattung der Kommunen befasst haben. Beide sind zu keinen schlagenden Ergebnissen gekommen.
Sind Sie dennoch optimistisch, dass es in der laufenden Wahlperiode gelingt, die kommunale Finanzierung auf neue Füße zu stellen?
Ich bin verhalten optimistisch. Denn die kommunale Finanzlage ist im Moment so desaströs, dass man die Gemeinden damit schlicht nicht alleinlassen kann. Mit dem Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität hat die Regierung schon einmal viele Beobachter*innen überrascht und gezeigt, dass sie große Finanzthemen anpacken kann.
Was wären die Folgen, wenn es nicht gelingt?
Dann werden die Kommunen in den nächsten Jahren immer tiefer ins Defizit rutschen. Die Konsequenz wäre, dass sie sparen müssen, Personalstopps verhängen und ihre Investitionen in die Infrastruktur weiter zurückfahren. Der Zustand der Infrastruktur ist vielerorts jetzt schon nicht gut. Wenn wir sie weiter verfallen lassen, wirkt sich das auf die gesamtwirtschaftliche Produktionskapazität aus. Zweitens müssten Kommunen freiwillige Leistungen streichen, beispielsweise Zuschüsse für Vereine und Kultur. Das merken die Bürger*innen. Wenn sie den Staat vor Ort nicht mehr als funktionsfähig wahrnehmen und mit der Daseinsvorsorge unzufrieden sind, hat das Auswirkungen auf das Wahlverhalten. Das heißt, sie tendieren eher dazu, ihr Kreuzchen ganz rechts zu machen. Dieser Zusammenhang ist mittlerweile wissenschaftlich gut belegt und dem muss der Staat etwas entgegensetzen.
Dr. Christian Raffer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Er arbeitet im Forschungsbereich Infrastruktur, Wirtschaft und Finanzen. Für die Friedrich-Ebert-Stiftung hat Raffer gemeinsam mit Henrik Scheller die Publikation „Kommunale Grundfinanzierung” verfasst. Diese wurde im Oktober 2025 veröffentlicht und kann auf difu.de kostenfrei heruntergeladen werden.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.