Das Damals und das Heute verbinden
Christel Trouvé und Marcus Meyer sind noch immer überrascht. Mit gut und gerne 30.000 Besucherinnen und Besuchern hatten sie nämlich überhaupt nicht gerechnet. So viele Menschen kommen jedes Jahr zum Denkort Bunker Valentin. Trouvé und Meyer sind die beiden wissenschaftlichen Leiter der Einrichtung im Bremer Ortsteil Farge-Rekum. In diesem Jahr wird der Denkort fünf Jahre alt. Trouvé und Meyer ziehen eine positive Bilanz. „Der Ort hat immer weiter Wurzeln geschlagen“, sagt Trouvé. Meyer fasst es kürzer: „Der Ort lebt.“
Tarnnname eines Rüstungsprojektes
„Valentin“ war der Tarnname des größten Rüstungsprojekts der deutschen Kriegsmarine im Zweiten Weltkrieg. In der verbunkerten Werft sollten die auf den deutschen Werften zuvor gebauten Sektionen des U-Boot-Typs XXI zusammengesetzt und direkt von der Unterweser aus auf Feindfahrt gehen. Die Bauarbeiten begannen 1943, wurden aber nach schweren Alliierten-Luftangriffen im März 1945 eingestellt. Zehntausende von Zivilarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen kamen dabei zum Einsatz, mehr als 1.600 starben an Unterernährung, Krankheiten und Willkür. Zum U-Boot-Bau kam es im Bunker aufgrund des Kriegsendes nicht mehr.
Von den 1960er Jahren an bis 2010 nutzte die Bundeswehr „Valentin“ zum Teil als Marinematerialdepot. Nach einigen Diskussionen und mit kräftiger finanzieller Unterstützung des Bundes entschied sich das Land Bremen für den „Denkort“. Dieser wurde ab 2010/11 umgebaut. Der Anfang ist aus unterschiedlichen Gründen etwas holprig gewesen, schildern Meyer und Trouvé. Doch darüber ist das Denkort-Team längst hinweg. „Der Andrang ist noch immer ungebrochen“, erzählt das Leitungsteam zufrieden. Gerade die Nachfrage nach Führungen oder ganzen Seminaren von Schulklassen und Trägern der Erwachsenenbildung nehme trotz der Corona-Pandemie und der Schließungen durch den Teil-Lockdown kontinuierlich zu. Das Netzwerk des Denkorts reiche heute von den lokalen Grundschulen im Ortsteil bis nach Australien. Meyer hebt zudem die durch das „Memory Lab“ – eine europäische Austauschplattform für Geschichte und Erinnerung – geschaffenen europaweiten Verbindungen hervor. „Eine Grundschule hat bei uns die gleiche Bedeutungsebene wie eine internationale Kooperation“, sagt Meyer.
Kooperationen vor Ort
Das alles habe sich indes nicht ohne die Kooperation mit den Verbänden und Einrichtungen vor Ort erreichen lassen. Dazu gehören laut Meyer unter anderem der VVN-Landesverband Bremen, der Verein Geschichtslehrpfad und sein Projekt „Baracke 27“, die Heimatfreunde Neuenkirchen, deren Sparte Gedenkstättenarbeit das Projekt „Baracke Wilhelmine“ betreut – eine Gedenkstätte für Zwangsarbeiter sowie die Opfer des KZ-Außenlagers Farge. Auch die Internationale Friedensschule Bremen gehört dazu. „Solch ein Denkort ist nicht ohne die Aufbaugeneration zu denken“, lobt Meyer. „Diese Leute haben die Wurzeln dafür gelegt.“
Inzwischen hat es so etwas wie einen Generationswechsel gegeben. Sehr zu Trouvés Freude interessieren sich immer mehr junge Leute für den Denkort und seine Arbeit. Gerade im Bereich Quellenforschung und Recherche sei die Einrichtung aufgrund ihrer knappen Personaldecke auf Praktikanten und Ehrenamtliche angewiesen. Einen guten Ruf haben sich in der Öffentlichkeit überdies die Schüler und Studierenden erarbeitet, die als sogenannte Guides tätig sind.
Erinnerungskultur hinterfragen
Für die Zukunft sei es notwendig, zu fragen, wie denn Erinnerungsarbeit aussehen muss. Da sind sich Trouvé und Meyer sicher. Deshalb gebe es in den nächsten fünf Jahren gleich mehrere Stellschrauben: Forschen sowie Vertiefen der Ausstellung, die Qualität des Denkorts als außerschulischen Lernort weiterentwickeln sowie den Bereich Kunst und Kultur ausbauen. „Damit erreichen wir ein ganz anderes Publikum“, sagt Trouvé. Meyer ergänzt: „Dahinter steht die Philosophie des Auseinandersetzens und des Streitens.“
Das bedeutet, dass die Menschen sich gerade auch vor dem Hintergrund des Erstarkens rechter Strömungen in Politik und Gesellschaft wieder mit Argumenten auseinandersetzen sollen. Dies gelinge an solch einem Ort wie „Valentin“ allerdings nur, wenn die Menschen in der Lage sind, das Damals und das Heute zu verbinden. „Ich glaube, man kann mit einer guten Erzählung die Leute dazu bringen, Bezüge herzustellen“, ist Meyer überzeugt. „Die Devise lautet: weg von ritualisierter Erinnerungskultur.“ Diese müsse immer wieder hinterfragt werden. Meyer zitiert Matthias Heil, Beiratsmitglied des Denkorts und Politikwissenschafter: „Ihr müsst den Bunker riskant halten.“