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Schluss mit Elterntaxis

Nur mal eben schnell halten, um ihr Kind aussteigen zu lassen – damit gefährden Eltern ihre eigenen und andere Kinder. Es geht auch anders: Einige Kommunen haben dazu Mittel und Wege gefunden.

von Susanne Dohrn · 7. April 2025
Zwei Frauen und ein Mann vor Schule

Schulexpress-Organisatorin Verena Nölle, Schulleiterin Susanne Wagner und Bauamtsleiter Sven Reinhold vor der Fritz-Reuter-Schule

Plötzlich ist Schluss: keine Fahrt vor die Schule mehr möglich. Statt ihr Kind vor dem Schultor aus dem Auto steigen zu lassen, geschieht das etwas weiter entfernt, zum Beispiel in einer Haltezone. Von dort laufen die Mädchen und Jungen – bei jedem Wetter, jeder Jahreszeit, Regen, Schnee und Dunkelheit. Denn die Straße vor der Schule wurde zur Schulstraße. 

Schulstraßen sind Schutzräume für Kinder. Etwa eine Stunde vor Schulbeginn und eine Stunde nach Schulende dürfen in einer solchen Straße keine Autos fahren. „Auch Anliegerverkehr ist verboten“, sagt Niclas Dürbrook. Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion hat zusammen mit seinem Fraktionskollegen und bildungspolitischen Sprecher Martin Habersaat eine Initiative gestartet, die es Kommunen in Schleswig-Holstein erleichtern soll, Schulstraßen einzurichten.

Fehlende Rechtssicherheit?

„Früher gingen wir zu Fuß. Wir wurden nicht gefahren“, erinnert sich Martin Habersaat an seine eigene Grundschulzeit vor 40 Jahren in Barsbüttel bei Hamburg. Deshalb wurden damals bei Schulbauten keine Elterntaxis eingeplant. Habersaat und Dürbrook haben deshalb vergangenes Jahr die schwarz-grüne Landesregierung aufgefordert, einen Erlass herauszugeben. Der soll Kommunen aufzeigen, wie sie rechtssicher Schulstraßen einrichten können. Die Landesregierung hat das abgelehnt. Begründung: Rechtlich sei die Möglichkeit schon vorhanden. 

Dürbrook ist damit nicht einverstanden. „Eine Schulstraße einzurichten ist kompliziert. Die Belange von Anwohnenden, Feuerwehr und anderen Rettungskräften, Menschen mit Beeinträchtigungen, all das muss berücksichtigt werden. Gerade kleinere Kommunen trauen sich das nicht zu“, sagt er. Gäbe es einen Erlass, könnten Kommunen sich darauf berufen und hätten Rechtssicherheit. Hinzu komme der psychologische Effekt, weil die Landesregierung mit einem Erlass vermittelt „wenn ihr das wollt, könnt ihr das machen“, fügt Habersaat hinzu.

Gibt es andere Möglichkeiten, der Eltern-Taxis Herr zu werden? Ein erster Schritt sind Halteverbote. Wie wirkungslos sie sind, schildert der Bauamtsleiter der Stadt Tornesch Sven Reinhold: „Der städtische Außendienst stellt sich seit vielen Jahren immer wieder vor Schulen und Kindertagesstätten. Wir sprechen Eltern gezielt an. Die Antworten sind immer die gleichen: Oh, ich wusste das nicht. Es ist ja nur ganz kurz. Es ist hier ja viel zu gefährlich für mein Kind, wegen der vielen Autos.“ Auch Verwarngelder waren wirkungslos. Deren Halbwertszeit betrage gerade mal ein paar Tage. Deshalb hat die Kommune jetzt einen anderen Weg gewählt, so wie mittlerweile mehr als 200 in Deutschland.

Schulexpress: miteinander gehen

Ab Juni 2025 wird es in der Stadt den Schulexpress geben. Damit ist kein Bus gemeint, sondern der Begriff knüpft an ein Konzept aus Großbritannien an („Walking Bus”). Es soll Kinder motivieren, ihren Schulweg in kleinen Gruppen zu Fuß zurückzulegen. „Etwa 25 Prozent der Eltern bringen ihre Kinder mit dem Auto zur Grundschule“, sagt Schulexpress-Organisatorin Verena Nölle. Diese Minderheit trete so dominant auf, dass sie diejenigen gefährdet, die selbstständig zur Schule gehen. Den Schulexpress gründete sie zusammen mit zwei anderen Müttern, als ihre eigene Tochter in die Grundschule kam, weil vor der Schule ein Verkehrschaos herrschte. Inzwischen gibt es den Schulexpress an mehr als 200 Schulen in acht Bundesländern, sowie in Österreich. 2019 wurde Verena Nölle von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier für ihr Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Von der Idee zur Umsetzung ging es in Tornesch in Express-Geschwindigkeit. 2024 nahm die Stadt Kontakt zu Verena Nölle auf. Die stellte Ende 2024 das Konzept den Schulleitungen der beiden Grundschulen, Vertreterinnen und Vertretern der Eltern, der Lehrerschaft und der Lokalpolitik vor. Anfang 2025 wurden bei Kindern und Eltern die Schulwege abgefragt, Gefahrenpunkte und Wunschhaltestellen identifiziert. Aus diesen Informationen entstanden ein Schulwegplan und Kinder-Treffpunkte für die Grundschulen. Die Beschilderung der Treffpunkte wurde beauftragt. Von dort gehen die Kinder gemeinsam zu Fuß. 

In den ersten Tagen werden sie von Erwachsenen begleitet, eine Aufgabe, bei der Eltern sich abwechseln. Nach und nach gewöhnen die Kinder sich daran, den Weg selbstständig zu laufen. In Tornesch werden die Schilder für die Treffpunkte demnächst in der Stadt aufgestellt. Im Juni startet der Schulexpress.

Pokal als Anreiz zum Laufen

Und wenn die Eltern-Taxis nach einiger Zeit wieder zunehmen? „Die Schulen müssen das beobachten“, sagt Schulleiterin und SPD-Fraktionsvorsitzende der Stadt Susanne Wagner. Zur Motivation gebe es in jeder Klasse ein Plakat, auf dem die Kinder zwei bis drei Wochen lang ein Sternchen eintragen können, wenn sie zu Fuß gegangen sind. Dazu werden sie alle drei bis vier Monate aufgefordert. Ein kleiner zum Beispiel mit Süßigkeiten gefüllter Pokal wandert in die Klasse, die prozentual am meisten gelaufen ist.

Die Kosten für den Schulexpress betragen etwa 5.000 Euro. In Tornesch bezahlt die Stadt den Druck und das Aufstellen der Schilder. Den Rest, zum Beispiel die Reisekosten von Verena Nölle und der Druck der Flyer mit dem Schulwegplan für die Eltern, wird aus Spendengeldern finanziert. „Ab Juni solle der Schulbus rollen“, sagt Schulleiterin Wagner. Von der Idee bis zur Umsetzung hat es gerade mal ein halbes Jahr gedauert. Im Skagenweg in Kiel Mettenhof soll in diesem Jahr die erste Schulstraße Schleswig-Holsteins eingerichtet werden, mit einer Drehschranke davor, die Autos die Zufahrt bis vor das Schultor verwehrt. 

Autor*in
Susanne Dohrn

ist freie Autorin und SPD-Ratsfrau in Tornesch

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