Bundespräsident Steinmeier fordert mehr Spielräume für Kommunen
Eine Studie belegt, dass die Finanzsorgen der Kommunen wachsen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Ratsmitglieder ins Schloss Bellevue eingeladen und warnt: Wenn den Gemeinden das Geld ausgehe, nehme auch die Demokratie Schaden.
David Ausserhofer/Körber-Stiftung
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier während seiner Rede vor ehrenamtlichenRatsmitgliedern
Deutschlands Demokratie lebt von freiwilligem Engagement. In den kommunalen Stadt- und Gemeinderäten oder Kreistagen tummeln sich mehr als 200.000 ehrenamtliche Ratsmitglieder. Rund 100 von ihnen hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Dienstag in seinen Berliner Amtssitz eingeladen. „Wer die Demokratie verteidigen will, der muss die kommunale Perspektive kennen“, sagte er.
Wo in den Räten der Schuh drückt, zeigt eine aktuelle Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung auf, die im Schloss Bellevue vorgestellt wurde. Das Institut Forsa hat 2.312 ehrenamtliche Stadt- und Gemeinderatsmitglieder befragt. Die Ergebnisse verstärken den Eindruck, dass sich die Finanzsorgen der Kommunen immer weiter zuspitzen.
Finanzen sind drängendstes Problem
70 Prozent der Ratsmitglieder bewerten die finanzielle Lage ihrer Kommune als schlecht oder sehr schlecht. Für 90 Prozent der Befragten gehören fehlende Finanzmittel zu den drängendsten Herausforderungen der kommenden Jahre. Damit steht dieses Thema auf Platz 1, noch vor dem Erhalt der Wirtschaftskraft (80 Prozent), der Energiewende (79 Prozent) und mit weitem Abstand vor dem Thema Migration (57 Prozent).
Laut der Umfrage fühlt sich die überwiegende Mehrheit der Ratsmitglieder von Bund und Ländern nicht ausreichend unterstützt. 86 Prozent klagen über wachsende Bürokratie, 61 Prozent sehen die Gestaltungsspielräume in ihrer Arbeit zunehmend eingeschränkt. Gleichzeitig bekommen Kommunalpolitiker*innen vermehrt den Unmut der Bürger*innen über bundespolitische Entscheidungen ab, wie 70 Prozent der Ratsmitglieder berichten.
Steinmeier fordert mehr Vertrauen in Kommunen
Steinmeier würdigte die kommunalen Mandatsträger*innen: Sie hätten den Mut, Farbe zu bekennen. Sie trügen große Verantwortung, die in Krisenzeiten auch zu einer übermenschlichen Last werden könne. Der Bundespräsident warnte: „Wenn den Kommunen Spielräume für die Bewahrung eines lebenswerten Wohnumfeldes, für Sport- und Kulturangebote fehlen, richtet sich die Enttäuschung der Bürger nicht nur an den örtlichen Bürgermeister, Spendern weckt Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Demokratie überhaupt.“ Deshalb sei die dauerhafte Überlastung der kommunalen Haushalte nicht allein ein kommunales Problem.
Auf drei Dinge kommt es laut Steinmeier jetzt an: Erstens müsse ein Teil des beschlossenen Milliardenpakets des Bundes (Sondervermögen Infrastruktur) auch zur Entlastung der Kommunen zur Verfügung stehen. Zweitens müssten Kommunen von bürokratischem Aufwand befreit werden. Dabei könne auch die Digitalisierung entlastend wirken. Bund und Länder sollten mehr darauf vertrauen, dass Kommunen Dinge besser in Eigenregie regeln können. Dies sei die Voraussetzung, um „nicht alles bis ins letzte Detail zu regeln, die Zügel zu lockern“. Und drittens dürften Bund und Länder die Kommunen finanziell nicht überfordern. Dabei erinnerte Steinmeier an das bereits im Grundgesetz angelegte Prinzip, dass den Städten und Gemeinden keine Aufgaben übertragen werden dürften, ohne auch die Finanzierung zu sichern.
Nachwuchssorgen in den Räten
In einer Diskussionsrunde mit dem Bundespräsidenten äußerten mehrere Ratsmitglieder die Sorge, dass künftig zu wenige Menschen für Stadt- und Gemeinderäte kandidieren. Der SPD-Politiker Manuel Garcia Limia aus Viersen warnte zum Beispiel, dass engagierte Menschen sich lieber woanders einbrächten, wenn sie merkten, dass sie im Stadtrat nichts bewirken können. Ein Kommunalpolitiker aus Bad Bentheim berichtete, es falle schwer, Kandidierende für die anstehenden Kommunalwahlen in Niedersachsen zu finden. Viele Angesprochene würden absagen – sei es, weil ein Angehöriger schwer erkrankt ist, ein Kind erwartet wird oder ein berufliches Projekt ansteht. Deshalb schlug der Kommunalpolitiker vor, für Ratsmitglieder nach Schweizer Vorbild die Möglichkeit einzuführen, das Amt für ein Jahr zu pausieren, „damit wir diese Leute nicht verlieren“.
In der Umfrage der Körber-Stiftung gaben sogar 61 Prozent der Ratsmitglieder an, dass sie ein Nachwuchsproblem auf ihre Kommune zukommen sehen. Immerhin meinten mehr als zwei Drittel der Befragten, sie seien mit den Rahmenbedingungen ihres Ehrenamtes grundsätzlich zufrieden und könnten ihr Amt gut mit Familie und Beruf vereinbaren. Gleichzeitig wünschte sich jede*r Zweite mehr Wertschätzung, bessere finanzielle Kompensation und größere Gestaltungsspielräume.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.