DEMO-Kommunalkongress: Hat die Kommunalpolitik ein Nachwuchsproblem?
Anfeindungen, Bürokratie und mangelnde finanzielle Mittel – die Arbeit von Kommunalpolitiker*innen wird immer kräftezehrender. Doch wie muss das kommunale Amt der Zukunft aussehen, um ein Nachwuchsproblem abzuwenden?
Dirk Bleicker
Das Panel des 19. DEMO-Kommunalkongress zum Thema: „Kommunalpolitik in schwierigen Zeiten – Wer engagiert sich noch für die Demokratie vor Ort?“
Es sind schwierige Zeiten für die Kommunalpolitik. Bereits im Titel der ersten Podiumsdiskussion des 19. DEMO-Kommunalkongress ist davon die Rede. „Kommunalpolitik in schwierigen Zeiten – Wer engagiert sich noch für die Demokratie vor Ort?“ – darüber diskutierten Nicole Berka, die Bürgermeisterin von Neunkirchen-Seelscheid, Anne Haller, die Leiterin der KommunalAkademie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Sven Tetzlaff, Leiter des Bereichs Demokratie und Zusammenhalt der Körber-Stiftung, und Maik Luhmann, der Landesgeschäftsführer der SGK Nordrhein-Westfalen mit den Besucher*innen des Kongresses.
In einem waren sich die Fachleute des Podiums sofort einig: Die Kommunalpolitik hat ein Nachwuchsproblem, oder steuert mindestens auf eines zu. Doch warum? Vor allem die Arbeitsbedingungen seien dafür verantwortlich, denn kommunalpolitisches Engagement sei eine ehrenamtliche Tätigkeit, erklärte Sven Tetzlaff. Das erschwere die Vereinbarkeit mit Hauptberuf und gegebenenfalls Familie, gab er zu bedenken. Auch steigender bürokratischer Aufwand trage weiter dazu bei, dass das Amt immer mehr Zeit in Anspruch nehme.
„Überzeugungstäter“ kommen an ihre Grenzen
Anne Haller ergänzte, dass zudem die mangelnde Wertschätzung und der schwindende Gestaltungsspielraum viele Menschen abschrecke. Durch die schwierige Finanzlage vieler Kommunen kämen gerade die „Überzeugungstäter“, wie sie sie nannte, die in Kommunen etwas verändern wollen, an ihre Grenzen. Denn in vielen Fällen scheiterten die geforderten Projekte an der Finanzierung, erklärte Haller, und die kommunalpolitische Arbeit würde mehr und mehr zur Mangelverwaltung. Dass das für Menschen keine attraktive Arbeit sei, wundere sie nicht.
Letztlich brauche es Strukturveränderungen, plädierte Maik Luhmann. „Bringen wir den Mut auf, Dinge auch mal anders zu machen?“ – das sei eine Frage, die sich die kommunale Familie nun stellen müsse. Wenn man das tatsächlich anpacke, könnten Strukturveränderungen sogar zu mehr Engagement führen, soweit Luhmanns Erfahrung, doch dazu gehöre auch eine Fehlerkultur, in der man sich eingestehe, wenn etwas nicht funktioniere.
Menschen beim Erstkontakt begeistern
Ein Beispiel dafür: Der Kontakt zu Menschen, die neu in eine Partei eintreten. Nach der letzten „kleinen Neueintrittswelle“ der SPD, wie sie auf dem Podium betitelt wurde, müsse man sich die Frage stellen, ob man diese Menschen nicht nachhaltiger in die Partei einbinden könne, als man das bisher tue, wenn man den Parteieintritt als ersten Schritt hin zum kommunalpolitischen Engagement verstehe. So schnell wie möglich sollten Neumitglieder mitreden und mitdiskutieren können, sagte Maik Luhmann.
Dabei würden sich Menschen, die in eine Partei eintreten, oftmals auch zuvor schon zivilgesellschaftlich engagieren, erklärte Anne Haller. Es sei also wichtig, ihnen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie eine ähnliche Art des Engagements – möglicherweise punktueller oder projektbezogener – auch in der Partei weiterführen können. So könne man auch Menschen mit weniger Zeit für langfristige Verbindlichkeit besser ansprechen, ergänzte Nicole Berka.
„Ist man als Partei denn überhaupt offen für Menschen, die sich nur projektbezogen engagieren wollen?“ – Es sei an der Zeit, dass die SPD auch mit Blick darauf ihre eigenen Strukturen überdenke, und sie möglicherweise offener für Neuzugänge gestalte, stellte Haller in den Raum.
Und was ist mit den jungen Menschen?
Auch junge Menschen könnte man so möglicherweise verstärkt ansprechen. Sven Tetzlaff betonte, dass es mehr kommunalpolitische Bildung brauche und man den Kindern mehr erklären müsse. Dazu gehöre auch, mehr Interaktion zwischen Schulen und Kommunalpolitik zu schaffen.
Das müsse man jedoch richtig machen, gab Nicole Berka zu bedenken. Insbesondere beliebte Beteiligungsformate wie Kinder- und Jugendparlamente würden sich in manchen Fällen selbst abschaffen, wenn sie wie ein simples „Nachspielen“ von Ratssitzungen gestaltet würden. „Junge Leute müssen die Wirksamkeit selbst spüren können“, appellierte sie.
Auch aus dem Publikum gab es viel Zustimmung dazu. Ein Besucher des DEMO-Kommunalkongresses bekräftigte, dass Kinder- und Jugendparlamente durchaus funktionieren könnten, „wenn sie richtig gemacht werden“. Dazu gehöre seiner Erfahrung nach ein Antragsrecht und sogar Budgethoheit für das Parlament.
Leonhard Weist, der jüngste Stadtrat aus Radebeul in Sachsen, erzählte aus dem Publikum von seinen eigenen Erfahrungen beim Start in die Kommunalpolitik. Viele hätten sich über sein Engagement gewundert, so Weist. Daher sei sein Rat an die Älteren im Raum: „Nehmt eure jungen Menschen ernst, das ist der Nachwuchs.“
Mehr Mut, mehr „verklagt uns doch!“
Die Lage in der Kommunalpolitik lasse sich jedoch letztlich nicht schönreden, sagte Nicole Berka. Aus ihrer eigenen Arbeit als Bürgermeisterin wisse sie, „die Finanzausstattung ist mau“. Das müsse man auch aushalten können. Dennoch sei man als Kommunalpolitiker*in in der Verantwortung, sich darauf zu konzentrieren, dass der Alltag der Menschen funktioniere, ergänzte Maik Luhmann, und forderte damit verbunden mehr Konzentration auf die Elemente des Alltags wie öffentliche Räume, Mobilität oder Kinderbetreuung.
Um das bei spärlichen Finanzen jedoch umsetzen zu können, brauche es Mut, so Nicole Berka. Und eine gewisse „dann verklagt uns doch“-Haltung, betonten mehrere Kongress-Besucher*innen. Nur so könne man Vorhaben umsetzen, mit denen man dann als positives Vorbild voranschreiten könne – was bestenfalls wiederum Nachwuchs anziehen könnte.