Mit Genossenschaften gegen die Wohnungskrise
Wohnungsgenossenschaften können mit bezahlbarem Wohnraum, dazu beitragen, die Wohnkrise zu mildern. Allerdings fordern Experten einen einfacheren Zugang zu Grundstücken und mehr finanzielle Förderung.
Zoonar/Imago
Bezahlbarer Wohnraum ist knapp. Kräne auf einer Baustelle in Frankfurt, ein Archivbild aus 2020.
Rund 294.000 Wohnungen wurden 2024 gebaut – deutlich weniger als die 400.000, die nötig wären, um den Bedarf zu deccken. Nach einer Schätzung des Pestel-Instituts im August 2024 fehlen in Deutschland aktuell mehr als 500.000 Wohnungen. Besserung ist nicht in Sicht: Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, zeichnete im November bei einer Anhörung im Bundestag ein düsteres Bild: „Aktuell sieht es so aus, dass 70 Prozent unserer Unternehmen auch kommendes Jahr keine einzige Wohnung bauen werden.“
Vor allem fehlen bezahlbare Wohnungen, mit oder ohne Sozialbindung. Günstigen Wohnraum für ihre Mitglieder zu schaffen, ist eines der wichtigsten Ziele von Wohnungsbaugenossenschaften. Sie entstanden im 19. Jahrhundert aufgrund der damaligen Wohnungsnot. Ihr Prinzip: Durch gemeinschaftliche Selbsthilfe entsteht gemeinsames Eigentum, wo der Einzelne allein nicht genügend Mittel aufbringen könnte. Die Mitglieder sind durch ihre Genossenschaftsanteile Miteigentümer der Genossenschaft.
Mützenich: „Gelebte Demokratie“
Melanie Wegling, Genossenschaftsbeauftragte in der SPD-Fraktion, betonte auf einer Tagung der SPD-Fraktion die hohe Priorität, die die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum auch unter schwierigen bauwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die SPD-Bundestagsfraktion hat. „Wohnungsbaugenossenschaften sind für uns ein essenzieller Teil der Lösung und ein Schlüssel zu mehr bezahlbarem Wohnraum“, sagte sie. Rund fünf Millionen Menschen leben in 2,2 Millionen solcher Wohnungen.
Den gesellschaftspolitischen Wert von Genossenschaften in der Demokratie betonte auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Manche Menschen würden sich vertun, wenn sie meinten, alle vier Jahre hätte man für die Demokratie genug getan, indem man wählt. „Genau das ist falsch“, so der SPD-Fraktionschef. Gelebt werde Demokratie im Parlament, aber darüber hinaus auch in der Mitbestimmung im Betrieb oder eben im Genossenschaftswesen, machte Mützenich deutlich. Der Sozialdemokrat hat auch persönliche Erinnerungen: „Unsere erste Wohnung in Köln war bei der Heimstätten Baugenossenschaft Fortschritt, gibt er einen Einblick in sein Privatleben.
Finanzielle Unterstützung vom Bund
Im Bundesbauministerium weiß man um deren Bedeutung: „Das Thema Gemeinwohl ist in diesen Zeiten in aller Munde“, sagt Baustaatssekretärin Elisabeth Kaiser. Genossenschafts-Mitglieder hätten nicht nur vergleichsweise günstige Mieten und Sicherheit, sondern legten Wert auf nachbarschaftliches Miteinander und Solidarität, unterstreicht Kaiser. „Sie stabilisieren mit ihrem Angebot bezahlbaren und sicheren Wohnraum auf den Wohnungsmärkten.“ Sie seien auch innovativ und „bereichern den Wohnungsmarkt durch Konzepte mit Zukunft. Als Beispiele nennt sie Mehrgenerationenwohnen oder inklusive Wohnformen. Viele junge Baugenossenschaften setzten auch auf ökologische Baustandards und erneuerbare Energien und klimafreundliche Konzepte.
Die Bundesregierung fördert Wohnungsbaugenossenschaften. „Alle Förderstrategien zielen darauf ab, den Aufbau von Eigenkapital von Genossenschaften zu stärken und die Bereitstellung von Fremdkapital für zielgenaue bauliche Investitionen zu ermöglichen“, erläutert Kaiser. Es gebe weitere Programme wie zum Beispiel das altersgerechte Umbauen. „30 Prozent der bewilligten Modernisierungsförderungen im sozialen Wohnbau in 2022 gingen an Genossenschaften, im Neubau waren es 9 Prozent aller Förderbewilligungen“, so Kaiser.
Probleme mit Erbbaurecht
Aus dem Blickwinkel der Praxis berichtet Cora Lehnert, Vorständin der 75 Jahre alten „Wohnbaugenossenschaft in Frankfurt am Main eG“ mit 700 Wohnungen. Sie spricht ein Problem an, das viele umtreiben dürfte: das Erbbaurecht. Derzeit und in den kommenden Jahren laufen viele Pachtverträge aus, die vor Jahrzehnten geschlossen wurden.
Denn oft gehört der Genossenschaft nur die Immobilie, aber nicht der Grund, auf dem sie steht. „Wir haben jetzt die Situation, dass die ersten Verträge verlängert werden müssen. Da haben wir eine Verzehnfachung des Zinses auf den Tisch bekommen. Durch Verhandlungen konnten wir das reduzieren.“
Eine weitere Herausforderung sieht sie im steigenden finanziellen Rsiko: Allgemein seien die Kosten für ein Projekt mittlerweile sehr schwierig zu kalkulieren, mit den steigenden Baukosten und den Förderprogramme mit ihren unterschiedlichen Anforderungen.
Barbara König, Genossenschaftsvorständin der jüngeren Wohnungsbaugenossenschaft „Bremer Höhe eG“ macht auf einen weiteren Punkt aufmerksam: „Junge Genossenschaften haben oft noch weniger Eigenkapital, sind stärker darauf angewiesen, vernünftige Finanzierungsmöglichkeiten zu haben.“ Nicht immer funktionierten die KfW-Förderprogramme, sagt sie, denn manchmal gebe es „keine Bank, die sie ausgibt.“
„Kosten der Klimatransformation senken“
Matthias Zabel, Referatsleiter Genossenschaftsrecht und Genossenschaftswesen beim GdW bestätigt, „das Stimmungsbild sei derzeit durchgängig nicht positiv“. Eine große Herausforderung sei klimagerechter Bau und Sanierung. Sein Appell: „Die Kosten der Transformation müssen runter gehen.“
Die Vertreter der Genossenschaften wünschen sich auch, dass sie mehr unterstützt würden, etwa indem Flächen zur Entwicklung neuer Projekte und Quartiere an nicht profitorientierte Unternehmen bereitgestellt werden. Hier kommen Eigentümer wie der Bund oder die Kommunen selbst ins Spiel. „Wichtig wäre unter den gegebenen Umständen ein einfacherer Zugang zu Grundstücken“, forderte Joscha Metzger von Stattbau Hamburg.
Kommunen könnten beispielsweise Grundstücke allein Genossenschaften oder kommunalen Gesellschaften anbieten. Außerdem könnte man genossenschaftliches Wohnen fördern, indem wieder mehr mehr genossenschaftliche Quartiere entstünden. Metzger: „Hier könnten in einer Planungsrunde große und kleine Genossenschaften, solche die sich gründen wollen und kommunale Gesellschaften an einem Tisch sitzen und gemeinsam überlegen, was für ein Quartier sie gestalten wollen.“
Außerdem regte Metzger ein Nachdenken über mehr soziale Wohnungsbauförderung an. Das Angebot müsse attraktiv ausgestaltet werden. Man müsse weg von dem Denken, dass die geförderten Bestände Probleme mit sich brächten. In Hamburg zu Beispiel sei mehr als die Hälfte der Bevölkerung berechtigt, in sozial gefördertem Wohnraum zu wohnen. „Da kann man eine gute soziale Mischung herstellen.“
Ralf Bauer
ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.