Murrack zu Altschuldenhilfe: „Kommunen brauchen schnell ein Signal”
Die SPD fordert, dass es noch in diesem Jahr eine Altschulden-Lösung für Kommunen geben müsse. Warum das Thema so dringlich ist, erklärt Martin Murrack, Stadtkämmerer von Duisburg und Sprecher des Bündnisses „Für die Würde unserer Städte“.
J. Wardeski
Martin Murrack (SPD) ist Stadtdirektor und Stadtkämmerer in Duisburg
DEMO: Die Bundesregierung will Kommunen mit hohen Altschulden helfen. Was unterscheidet diese von anderen Schulden der Städte, Kreise und Gemeinden?
Martin Murrack: Wir reden bei den Altschulden von sogenannten Kassenkrediten. Es sind also keine Kredite, die aufgenommen wurden, um Investitionen in Schulen, Straßen oder Verwaltungsgebäude zu finanzieren. Kassenkredite sind Schulden, die aufgenommen werden müssen, um laufende Ausgaben einer Stadt zu finanzieren, zum Beispiel Gehälter oder Sozialhilfen. Und genau hier liegt das Problem: Wenn die Einnahmen einer Kommune nicht ausreichen, um solche laufenden Ausgaben zu bestreiten, wird der Schuldenberg immer größer.
Bei den besonders hart betroffenen Kommunen ist das in erster Linie durch den Strukturwandel ausgelöst worden. Im Ruhrgebiet beispielsweise sind sehr viele Arbeitsplätze in der Stahlindustrie und anderen Industriezweigen weggebrochen. Damit ist auch weniger Einkommenssteuer in die kommunalen Kassen geflossen, während die Zahl der Sozialhilfefälle gestiegen ist. Dadurch sind Kommunen in eine finanzielle Schieflage geraten.
Hätten die Kommunen trotzdem besser wirtschaften müssen?
Die Gesetze werden auf Bundes- und Landesebene gemacht. Zum Beispiel macht der Bund die Sozialgesetze. Die Kommunen können also gar nicht über die Standards entscheiden, sondern ihnen wird aufgebürdet, diese Beträge einfach zu bezahlen. Deswegen sind in den Jahren nach dem Strukturwandel diese gigantischen Schuldenberge entstanden. Weil die Kommunen sie schon sehr lange mit sich herumtragen, werden sie auch Altschulden genannt.
Dann könnte man meinen, die Kommunen hätten gelernt damit zu leben.
Wer Schulden hat, muss dafür Zinsen zahlen. Viele Jahre lang waren die Zinsen niedrig. Das hat das Problem ein Stück weit kaschiert. Aber seit einigen Jahren steigen die Zinsen wieder. Das bringt die betroffenen Kommunen in Schwierigkeiten. Und auch die Einnahmesituation spitzt sich zu, weil sich das Wirtschaftswachstum abschwächt. Ich kenne einige Kommunen, die gerade sehr akut wieder über Haushaltssperren nachdenken müssen, manche haben noch überhaupt keinen genehmigten Haushalt.
Wie wirkt sich all das auf Ihre Stadt Duisburg aus?
Im Jahr 2014 hatten wir noch Kassenkredite von 1,8 Milliarden Euro. Wir haben es in den vergangenen Jahren geschafft, bis 2023 auf 753 Millionen Euro herunterzukommen. Das hat in Duisburg funktioniert, aber wenn man sich die Straßen, Schulen und Kitas anschaut, dann sieht man auch, wo wir sparen mussten. Wir konnten nicht genug in die Infrastruktur investieren. Und andere Städte wie Mülheim, Oberhausen oder Hagen sind noch stärker betroffen. Sie sind in der sogenannten Vergeblichkeitsfalle gelandet. Das heißt: Sie kommen ohne Hilfe von außen gar nicht von den hohen Kassenkrediten runter.
Die Ampel-Koalition im Bund hat sich 2021 bereiterklärt, die Hälfte der kommunalen Altschulden zu übernehmen, wenn auch die betroffenen Länder ihren Teil dazu beitragen. Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen haben erst in diesem Jahr Entschuldungskonzepte für ihre Kommunen vorgelegt. Warum haben sich die Bundesländer lange so schwer damit getan?
Leider reagieren die Landesregierungen oft erst, wenn das Kind fast schon in den Brunnen gefallen ist. In Nordrhein-Westfalen hat sie jetzt auch verstanden, dass sich die Finanzsituation der Kommunen von Monat zu Monat verschlechtert und die Regierung dringend handeln muss. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass sie das halbherzig angeht. Der erste Vorschlag vor einem Jahr sah noch vor, dass die Kommunen ihre Altschuldenlösung auf Dauer komplett selbst finanzieren müssen. Das haben selbst die CDU-Oberbürgermeister vehement kritisiert. Der Bundesfinanzminister hat diesen Lösungsansatz verständlicherweise nicht akzeptiert.
Nun liegt ein zweiter Vorschlag vor, mit dem das Land auch wirklich eigenes Geld in die Hand nehmen würde, um seine Kommunen zu entschulden. Soweit ich informiert bin, hat die Landesregierung dazu aber noch nicht aktiv das Gespräch mit dem Bund gesucht, um abzustimmen, wie eine gemeinsame Altschulden-Lösung aussehen kann. Mein Gefühl ist, dass weder der Bundesfinanzminister noch die NRW-Landesregierung wirklich mit Volldampf an dem Thema arbeiten. Und das ärgert mich.
In einem Jahr wird ein neuer Bundestag gewählt. Das Präsidium der SPD hat gerade noch einmal bekräftigt, dass die Bundesregierung an ihrer Zusage festhält, Altschuldenhilfe zu leisten. Befürchten Sie trotzdem, dass sich ein Gelegenheits-Fenster schließen könnte?
Leider ja. Ich nehme dem Kanzler ab, dass er wirklich zu einer Lösung kommen will. Ich nehme aber auch wahr, dass der Finanzminister etwas zurückhaltender ist. Auf Bundes- und Landesebene wurden Schuldenbremsen eingeführt. Mein Eindruck ist, dass manche Politikerinnen und Politiker die Schulden deshalb lieber dort belassen wollen, wo es noch keine Schuldenbremse gibt: bei den Kommunen. Doch das schränkt die Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden massiv ein und stellt ihre Zukunftsfähigkeit in Frage. Die Zeit drängt, denn die Kommunen stellen gerade ihre Haushalte für 2025 auf und brauchen schnell ein Signal, ob sie mit Hilfe rechnen können. Wenn nicht, droht uns die finanzielle Situation vieler Kommunen zu entgleiten.
Damit der Bund sich an einer Altschulden-Lösung beteiligen kann, sind Zweidrittel-Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat nötig. Es muss also auch ein Teil der Opposition mitmachen. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass das funktioniert?
Ich glaube, wenn das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen, das ja CDU-geführt ist, mit dem Bund gemeinsam einen Vorschlag erarbeitet, dann hat es zumindest die CDU-Bundestagsfraktion schwer, diesem Vorschlag nicht zuzustimmen. Und dann halte ich es auch für machbar, dass die nötige Mehrheit im Bundesrat zusammenkommt. Aber dafür müssen sich die Beteiligten jetzt schnell an den Tisch setzen.
Das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte” wurde 2008 gegründet. Es setzt sich für eine angemessene Finanzausstattung und eine Lösung der Altschuldenfrage ein. Website: fuerdiewuerde.de
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.