Kommunale Altschulden: Warum das Problem so schwer zu lösen ist
Im Koalitionsvertrag hat die Ampel versprochen, Kommunen bei der Lösung der Altschulden-Problematik zu helfen. Mittlerweile haben die am stärksten betroffenen Bundesländer eigene Konzepte vorgelegt. Ausgerechnet jetzt geht dem Bund das Geld aus.
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Etwas, das vielen Kommunen fehlt: Geld
Jetzt müsse die Altschuldenproblematik ein für alle Mal gelöst werden, forderte der Präsident des Deutschen Städtetages Markus Lewe vor zwei Wochen. Viel Optimismus war aus seinem Statement nicht herauszulesen. Denn gerade erst hatte die Bundesregierung einen Entwurf für den Bundeshaushalt 2024 vorgelegt. Mittel für eine Altschuldenlösung sind darin nicht eingeplant.
Die Städte bräuchten jetzt „die verbindliche Zusage aus dem Bundesfinanzministerium, dass Bundesmittel zur Verfügung stehen werden, sobald die Altschuldenlösung zum Tragen kommen kann“, mahnte Lewe an. „Für alle Beteiligten gilt jetzt: Wir brauchen mehr Ernsthaftigkeit, um die Altschuldenlösung tatsächlich unter Dach und Fach zu bringen.“
Hilfe war vereinbart
Bald ist es drei Jahre her, dass SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag für eine gemeinsame Bundesregierung geschlossen haben. Darin machten sie ein Versprechen: „Im Rahmen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen wollen wir den Kommunen bei der Lösung der Altschuldenproblematik helfen.“ Viele Kommunen mit hohen Altschulden könnten sich nicht mehr aus eigener Kraft aus dieser Situation befreien, heißt es im Vertrag. Damit fehle ihnen das Geld für dringend notwendige Investitionen.
Die Ampel-Koalition formulierte auch Eckpunkte für eine solche Lösung. Nötig sei eine gemeinsame, einmalige Kraftanstrengung des Bundes und der Länder, ist im Koalitionsvertrag zu lesen. Die bisherigen Entschuldungsbemühungen der Länder sollten berücksichtigt werden. „Dies kann nur in einem übergreifenden Konsens gelingen, der das Einvernehmen der Länder erfordert und einer Änderung des Grundgesetzes bedarf, für die die entsprechende Mehrheit im Deutschen Bundestag und Bundesrat nötig ist.“ Es müssten aber auch „eigene Beiträge zur Entschuldung“ geleistet werden. Und gleichzeitig sollte rechtssicher verhindert werden, dass die Kommunen erneut in die Schuldenfalle geraten.
Vergangene Bundesregierungen hatten sich bei dem Versuch die Zähne ausgebissen, einen solchen „übergreifenden Konsens“ von Bund und Ländern herzustellen. Unter anderem deshalb, weil der Bund nicht zielgerichtet den ärmsten Kommunen helfen und gleichzeitig alle Länder gleichermaßen mit Geld bedenken kann. Das führte zwangsläufig zu Interessenskonflikten.
Die Länder bewegen sich
Teil zwei des Problems: Für die auskömmliche Finanzierung der Kommunen sind in erster Linie die jeweiligen Bundesländer zuständig. Stets war klar, dass der Bund nur helfen wird, wenn auch die Länder sich bewegen, in denen das Problem am schwersten wiegt. Vor allem die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat lange auf ein tragfähiges Entschuldungskonzept warten lassen. Doch mittlerweile hat sich einiges getan, worauf sich auch Städtetags-Präsident Lewe in seinem Statement bezog: „Das Saarland und Rheinland-Pfalz hatten bereits Landesmodelle vorgelegt und auch in Nordrhein-Westfalen will die Landesregierung jetzt 7,5 Milliarden über insgesamt 30 Jahre bereitstellen. Das ist ein anerkennenswerter Schritt.“ Die Landesmodelle sollten jetzt mit Bundesmitteln in maßgeblicher Höhe flankiert werden, forderte Lewe.
Was in den Ländern auf den Weg gebracht wurde:
Nordrhein-Westfalen – Noch vor einem Jahr hatte die schwarz-grüne Landesregierung mit ihrem Entschuldungsvorschlag viel Empörung geerntet. Denn dieser lief im Kern darauf hinaus, dass die Kommunen ihre Entschuldung selbst bezahlen sollten. Vor wenigen Wochen legte die Landesregierung ein neues Konzept vor. Dieser sieht nun auch vor, dass das Land eigene Finanzmittel einsetzt, nämlich 7,5 Milliarden Euro verteilt auf 30 Jahre. „Das ist erstmal ein substanzieller Fortschritt“, urteilte sogar der SPD-Abgeordnete Justus Moor im DEMO-Gastbeitrag. Ein Konzept oder weitere Modalitäten lägen jedoch noch nicht vor, merkte er an.
Rheinland-Pfalz – Hier gab die Landesregierung im Mai 2024 bekannt, einen „historischen Schuldenschnitt“ vollziehen zu wollen. Das läuft unter dem Titel „Partnerschaft zur Entschuldung der Kommunen“ (PEK-RP). Das Land will den Kommunen mehr als die Hälfte ihrer Liquiditätsschulden abnehmen, nämlich drei Milliarden Euro. An dem Pakt beteiligt sind nicht nur die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP, sondern auch CDU und Freie Wähler. Gemeinsam haben sie den Schuldenschnitt in der Landesverfassung verankert. Mehr als 500 Kommunen sollen profitieren, indem sie von Tilgungsverpflichtungen und Zinszahlungen befreit werden.
Saarland – In Deutschlands kleinstem Flächen-Bundesland hat der Landtag schon 2019 eine Teilentschuldung der Kommunen beschlossen, den sogenannten Saarland-Pakt. Er gilt seit 2020 und sieht vor, dass das Land eine Milliarde Euro an kommunalen Kassenkrediten übernimmt. Das ist knapp die Hälfte. Die andere Hälfte sollen die Kommunen über 45 Jahre abbezahlen. Außerdem stellt das Land den Kommunen pro Jahr 30 Millionen Euro zusätzlich für Investitionen zur Verfügung. Im Gegenzug müssen die Kommunen einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen, was ab 2024 gilt.
Schuldenbremse bremst Hilfe aus
Auch in anderen Bundesländern wurden bereits Entschuldungsprogramme aufgesetzt. Die Schlagworte dazu lauten „Zukunftsvertrag“ (Niedersachsen), „Hessenkasse“ (Hessen) oder „Teilentschuldung kreisfreie Städte“ (Brandenburg). Eigentlich wäre nun ein guter Zeitpunkt für den Bund, um das Thema Altschuldenhilfe erneut anzupacken. Doch ausgerechnet jetzt scheint der Bundesregierung das Geld auszugehen.
Die Zeit der niedrigen Zinsen ist vorbei, die Wirtschaft schwächelt und die Koalitionsparteien konnten sich nur mühsam auf einen Haushaltsentwurf einigen. Denn die FDP hält an einer engen Auslegung der Schuldenbremse fest, was die finanziellen Handlungsmöglichkeiten des Bundes einschränkt. Und selbst der mühsam gefundene Haushaltskompromiss wird nun wieder von Finanzminister Christian Lindner (FDP) öffentlich in Frage gestellt. Ihm zufolge fehlen rund fünf Milliarden Euro, um einen verfassungskonformen Haushalt aufzustellen. Schwer vorstellbar, dass der Finanzminister in dieser Situation zusätzliche finanzielle Verpflichtungen eingehen will.
Im April 2024 wurde ein Eckpunkte-Papier aus dem Bundesfinanzministerium öffentlich, dass eine Entschuldungsstrategie für Kommunen skizzierte. Viel mehr als im Koalitionsvertrag stand dort nicht drin. Schließlich erhöhten auch die Ampel-Fraktionen den Druck auf den Finanzminister und beauftragten sein Ministerium, eine Konferenz zum Thema Kommunalfinanzen zu veranstalten. Diese fand am 5. Juli statt, in ausgewählter Runde und kaum beachtet von der Öffentlichkeit (Programm siehe hier). Neue Vorstöße, wie er das Altschuldenproblem angehen will, sind von Lindner seitdem nicht bekannt.
Bayern stellt sich quer
Dazu gesellt sich ein weiteres Hindernis: Für eine Altschuldenlösung wäre eine Grundgesetzänderung nötig – und damit auch die Zustimmung der Union. Die ist in der Frage der Altschuldenhilfe alles andere als einig. Widerstand kommt vor allem aus Bayern. „Die Altschuldenübernahme ist eine uralte Idee und schlicht unfair“, behauptete der bayerische Finanzminister Albert Füracker (CSU) jüngst. Eine solche Schuldenübernahme setze „völlig falsche Anreize“. Selbst wenn im Bundestag eine große Mehrheit zusammenkäme, könnte der Bundesrat sich als schwierige Hürde erweisen, weil nicht alle Länder gleichermaßen profitieren würden. Zum Beispiel hat auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in der Vergangenheit klargestellt, dass er eine solidarische Altschuldenhilfe für überschuldete Kommunen „nicht einfach durchwinken” werde.
Da klingt es wie das Pfeifen im Walde, wenn Städtetags-Präsident Lewe sagt: „Wir brauchen ein parteiübergreifendes Bekenntnis zu einer Altschuldenlösung, die von allen demokratischen Kräften mitgetragen wird.“
Update, 12. August 2024:
Das SPD-Präsidium hat in einer Resolution die Bereitschaft der Bundesregierung bekräftigt, sich an einer Altschuldenlösung finanziell zu beteiligen. „Die politische und finanzielle Zusage der Bundesregierung steht“, heißt es darin. Mehr dazu hier
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.