Oberbürgermeisterin in Bayern darf auf Mutterschutz verzichten
Lindaus Oberbürgermeisterin Claudia Alfons wollte sich nach der Geburt ihres dritten Kindes nicht gezwungenermaßen vertreten lassen. Bei der bayerischen Landesregierung setzte sie durch, dass Bürgermeisterinnen und Landrätinnen auf den Mutterschutz verzichten dürfen.
Ute Grabowsky/photothek.net
Schwangere Frau (Symbolfoto): Lindaus Oberbürgermeisterin hält Mutterschutz für wichtig, will aber auch darauf verzichten dürfen.
Nach der Geburt ihres dritten Kindes hätte Lindaus Oberbürgermeisterin Claudia Alfons (parteilos) ihr Amt acht Wochen lang ruhen lassen müssen. So sieht es die Mutterschutz-Regelung für kommunale Wahlbeamtinnen in Bayern eigentlich vor. Alfons‘ Amtsgeschäfte hätte ihr Stellvertreter weitergeführt und im Stadtrat hätte sie ihr Stimmrecht nicht ausüben dürfen. Doch dazu war sie nicht bereit. Sie wandte sich an Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und bat darum, auf den Mutterschutz verzichten zu dürfen. Sie legte ihm auch ein Rechtsgutachten der Kanzlei Redeker/Sellner/DAHS vor, das ihre Position untermauerte.
Ministerium: Bürgermeisterinnen dürfen verzichten
Damit hatte die Rathauschefin Erfolg. Herrmann antwortete ihr in einem Schreiben vom 11. März, er sei zu der Auffassung gelangt, dass eine Verzichtsmöglichkeit auf dem Mutterschutz für hauptamtliche Bürgermeisterinnen und Landrätinnen vertretbar erscheine. „Dies hat zur Folge, dass eine Kommune eine hauptamtliche Bürgermeisterin oder Landrätin bereits innerhalb der achtwöchigen nachgeburtlichen Schutzfrist beschäftigen und ihr Amt ausüben lassen darf, soweit sie dies ausdrücklich verlangt.“
Alfons‘ Büro bestätigte gegenüber der DEMO einen Bericht der Süddeutschen Zeitung. „Ich habe drei Kinder gebraucht, um mir meiner Rechte im Mutterschutz bewusst zu werden“, wird sie darin zitiert. Schon bei ihrer zweiten Schwangerschaft habe sie Unbehagen gespürt, in Mutterschutz zu gehen, aber auf den Rat von Jurist*innen gehört. Andernfalls hätte sie nach geltender Rechtsprechung rechtswidrig gehandelt und riskiert, dass Stadtratsbeschlüsse, die während ihres Mutterschutzes getroffen werden, keine Rechtskraft haben. Für Alfons hatte der zweimonatige Rückzug aus dem Amt unschöne Folgen: Im Stadtrat konnte sie nur als Zuschauerin verfolgen, wie ihr Stellvertreter einen Punkt auf die Tagesordnung setzte, den sie selbst nicht zur Abstimmung gestellt hätte.
Sind Bürgermeisterinnen „Beschäftigte”?
Der Mutterschutz für Frauen am Arbeitsplatz während der Schwangerschaft und nach der Entbindung ist bundesrechtlich im Mutterschutzgesetz verankert. In Bayern regelt (gemäß Kommunal-Wahlbeamten-Gesetz) eine Rechtsverordnung der Staatsregierung „die der Eigenart des öffentlichen Dienstes entsprechende Anwendung der Vorschriften des Mutterschutzgesetzes auf Beamtinnen auf Zeit“, wozu gewählte Bürgermeisterinnen gehören.
Das von Alfons vorgelegte Rechtsgutachten kritisiert die bisherige Praxis. Es sei zweifelhaft, ob eine kommunale Wahlbeamtin als Trägerin eines unmittelbar demokratisch legitimierten Mandats überhaupt als „Beschäftigte“ bezeichnet werden könne. Insbesondere bei Wahlen und Abstimmungen im Gemeinderat nehme die Oberbürgermeisterin ein freies Mandat wahr. Die damit verbundenen Rechte könne man ihr nicht einfach für acht Wochen verbieten. Darüber hinaus verweist die Kanzlei auf das Verbot geschlechtsbezogener Diskriminierung. Und das EU-Recht schreibe nur einen obligatorischen Mutterschutzurlaub von zwei Wochen vor, auf den eine Arbeitnehmerin nicht verzichten könne.
Expertin: Mütter wurden „nicht mitgedacht”
Dass sich eine Oberbürgermeisterin gegen verpflichtenden Mutterschutz wehrt, ist ungewöhnlich. Cécile Weidhofer hat bisher von keinem vergleichbaren Fall gehört. Dabei kennt sie sich aus, denn bei der Beratungs- und Forschungsorganisation „EAF Berlin“ leitet sie Projekte, die sich mit der Gleichstellung in Politik und Verwaltung beschäftigen. Weidhofer ist auch Mitautorin eines 2023 veröffentlichten Praxisleitfadens „Mit Kind in die Politik“.
„Das zeigt aber auch, für wen und von wem diese ganzen Abläufe und Rahmenbedingungen gemacht worden sind. Frauen in der Rushhour des Lebens wurden nicht mitgedacht“, sagt Weidhofer über die Erfahrungen von Lindaus Oberbürgermeisterin. Für problematisch hält die Expertin auch den Umstand, dass Bürgermeister*innen in Deutschland ihre Stellvertreter*innen nicht selbst auswählen können. Zum Teil müssten Personen im Rathaus zusammenarbeiten, die sich im Wahlkampf noch als Konkurrent*innen gegenüberstanden. Das führe dazu, das Vertrauen in den Stellvertreter oder die Stellvertreterin fehlt.
Mutterschutz und Elternzeit immer wieder Thema
Immer wieder kommt es vor, dass Mütter in der Kommunalpolitik rechtliches Neuland betreten müssen. Zum Beispiel wollte Cathrin Wöhrle 2018 als Bürgermeisterin der 2.800-Einwohner*innen-Gemeinde Zaisenhausen (Baden-Württemberg) in Teilzeit-Elternzeit gehen. Landkreis und Innenministerium wiesen das zunächst zurück, schließlich wurden die Regelungen aber angepasst. Viele ehrenamtliche Kommunalpolitikerinnen schlagen sich mit gänzlich anderen Problemen herum, weiß Weidhofer. Denn für diese gibt es keine Mutterschutz- oder Elternzeitregelungen.
Alfons‘ Sohn ist im März zur Welt gekommen, bis Mitte Mai arbeitet sie eingeschränkt. „Es ist schön, dass es den Mutterschutz gibt“, zitiert die Süddeutsche sie. „Aber es ist auch wichtig dass man darauf verzichten kann, wenn man es sich zutraut und für nötig erachtet.“
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.