Wie Familienhebammen junge Familien unterstützen
Ein 2006 zunächst als Modellprojekt in Sachsen-Anhalt gestartetes Hilfesystem für sozial schwache Eltern hat sich inzwischen bundesweit etabliert. Nahezu alle Jugendämter knüpften auf dieser Grundlage eigene örtliche Netzwerke für Frühe Hilfen.
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Familienhebammen aus Sachsen-Anhalt nach ihrem Zusatzlehrgang in Halle/Saale
„Kugelrunden“, zu denen das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in der Kreisstadt Köthen regelmäßig einlädt, sind keine Seminare für Übergewichtige oder Süßigkeitenliebhaber. Oder doch, ein wenig vielleicht schon. Denn hier treffen sich angehende junge Mütter, meist mit ihren Partnern, um in kostenlosen Workshops unter kompetenter Obhut die Geburt und vor allem den Beginn des Elternseins zu simulieren.
Familienhebammen als Pionierinnen der frühen Hilfen
Auch bundesweit wirkt der Landkreis Anhalt-Bitterfeld damit beispielgebend. Und mehr noch: Auch jene Familienhebammen, die diese Kurse maßgeblich betreuen, gehörten vor zwei Jahrzehnten zu den Pionierinnen einer Zusatzkompetenz, die inzwischen in ganz Deutschland angeboten wird. Mithin starteten im März 2006 das SPD-geführte Magdeburger Sozialministerium mit dem Landeshebammenverband Sachsen-Anhalt das Modellprojekt Familienhebammen. Die ersten zehn Fachfrauen begannen seinerzeit eine berufsbegleitende Weiterbildung zu entsprechenden Fachkräften der frühen Hilfen.
Den Handlungsbedarf hierfür lieferten interne Analysen aus dem Hebammenalltag, wonach zwar 73 Prozent der jungen Mütter ihr Kind gut versorgen, 16 Prozent aber nur mittelmäßig und elf Prozent sogar schlecht. Und gerade die Mutter-Kind-Beziehung wurde von den Expertinnen nur bei gut der Hälfte der Frischentbundenen als gut gewertet, bei einem Drittel hingegen als schlecht.
Schutz vor Kindeswohlgefährdung
Inzwischen unterstützen in Sachsen-Anhalt 84 ausgebildete und zertifizierte Familienhebammen bzw. Fachkräfte für Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflege bedürftige Eltern. Vor gut einem Jahr hatten erneut zehn Fachfrauen den bereits dritten Qualifizierungskurs in Halle/Saale erfolgreich absolviert. Weitere sollen folgen. Denn laut Landessozialministerin Petra Grimm-Benne steigt „der Bedarf an wirksamer Unterstützung“ in Sachsen-Anhalt. Und jedes Kind habe „ein Recht auf ein gewaltfreies und gesundes Aufwachsen“, so die Sozialdemokratin. Mit den Familienhebammen werde denn der Schutz vor einer möglichen Kindeswohlgefährdung in Sachsen-Anhalt gezielt gestärkt.

Die Familienhebammen in Sachsen-Anhalt assistieren jährlich in 500 bis 600 betroffenen Haushalten während der Schwangerschaft sowie teilweise noch in den ersten drei Lebensjahren ihrer neugeborenen Kinder. Sie beraten bei Fragen und Sorgen rund um Gesundheit und Entwicklung und vermitteln Hilfsangebote. Damit soll es gelingen, Risiken für das Kindeswohl frühzeitig zu erkennen und zu minimieren.
Laut Manuela Nitschke, 1. Vorsitzende des Landeshebammenverbandes Sachsen-Anhalt und selbst Familienhebamme in Halle, benötigten diese Zuwendung vor allem „vulnerable Familien mit psycho-sozialen oder gesundheitlichen Risikofaktoren“.
Besonders vulnerable Menschen
Darunter verstehen Experten Menschen, die nicht in der Lage sind, Herausforderungen aus eigener Kraft zu bewältigen, weshalb sie unter Krisen besonders leiden. Diesen Problemkreisen zugerechnet werden u.a. gestörte Mutter-Kind-Beziehungen, Suchtprobleme, Gewalterfahrungen, Straffälligkeit eines Angehörigen, Verdacht auf Kindesmisshandlung oder -vernachlässigung, familiäre Armut, Analphabetinnen, Migrantinnen, minderjährige Mütter sowie chronische Erkrankungen von Eltern oder Kindern.
Die Vorgehensweise der Familienhebammen und die Maßnahme, die sie ergreifen, sind dabei vor allem darauf ausgerichtet, bei den beteiligten Müttern und Väter das Maß an Selbstbestimmung sowie deren Lebenstüchtigkeit zu erhöhen. Gezielt sollen sie damit in die Lage versetzt werden, „die oft verschütteten individuellen Stärken, Fähigkeiten und Möglichkeiten aufzudecken und zu fördern“, so Manuela Nitschke. Mithin würden die Eltern auf diese Weise qualifiziert, sich selbständig um ihr Kind kümmern zu können
Netzwerke für Frühe Hilfen gibt es bundesweit
Längst arbeiten in allen Bundesländern Familienhebammen. Einen wichtigen Rahmen hierfür schuf – aufbauend auf eben jenen frühen Erfahrungen in Sachsen-Anhalt – ab 2012 eine Bundesinitiative Frühe Hilfen. Sie legte den Grundstein für ein auch bundesweit tragfähiges Netz an Unterstützungsmaßnahmen für bedürftige Familien.
Fast jede der 570 deutschen Kommunen, die ein eigenes Jugendamt unterhalten, strickte inzwischen eigene lokale Netzwerke Frühe Hilfen. Und dieses Hilfespektrum erweitert sich bereits mancherorts immer treffgenauer. Während 452 Kommunen zunächst ein örtliches Netzwerk Frühe Hilfen geknüpft haben, arbeiten in 115 Städten bereits mehrere solcher Sozialgeflechte. In einigen großen Kommunen agieren heute bis zu 16 Netzwerke. Fast immer sind diese beim jeweiligen Jugendamt angesiedelt und zumeist mit beruflich erfahrenen und gut ausgebildeten Fachkräften besetzt.
Harald Lachmann
ist diplomierter Journalist, arbeitete zunächst als Redakteur bei der Leipziger Volkszeitung, zuletzt als Ressortleiter Politik, und schreibt heute als freier Autor und Korrespondent für Tages-, Fach- sowie Wirtschaftszeitungen. Für die DEMO ist er seit 1994 tätig.