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Belastete Straßennamen: Wie Heilbronn auf neue Erkenntnisse reagiert

In Heilbronn werden sieben Straßen umbenannt. Neue Recherchen bescheinigen den alten Namensgebern eine Nähe zum Nationalsozialismus. Stattdessen sollen nun Menschen aus dem Widerstand gewürdigt werden.

von Uwe Roth · 5. Mai 2025
Skulpturen vor einem Hang mit Blick auf Heilbronn

Blick vom Scheuerberg auf Heilbronn: Diesen Skulpturen droht keine Gefahr, aber manch ein Straßenname in der Stadt könnte bald ausgetauscht werden, weil sich mit neuen Erkenntnissen auch die Erinnerungskultur wandelt.

In Heilbronn wird die Benennung mehrerer Straßen auf den Prüfstand gestellt. Oberbürgermeister Harry Mergel (SPD) hat das Projekt in seiner Stadt angestoßen. Seine Begründung dazu: „Die Benennung einer Straße, eines Weges, eines Platzes, einer Brücke oder eines Gebäudes nach einer Person stellt aufgrund der öffentlichen Präsenz nach der Ehrenbürgerwürde die höchste Ehrung dar, die eine Kommune vergeben kann.“ Es sei daher „unsere Verpflichtung zu handeln, wenn gewichtige Gründe im Nachhinein gegen eine solche Würdigung sprechen.“

Ein solcher Prozess der Aufarbeitung kann auch der eigenen Partei wehtun, wie der SPD-Fraktionschef im Heilbronner Gemeinderat Rainer Hinderer berichtet. Die beauftragte Historikerin Susanne Wein fand bei ihren Recherche-Arbeiten heraus, dass es der ehemalige SPD-Oberbürgermeister Hans Hoffmann (1967 bis 1983) bis zu seinem Tod 2005 geschafft hatte, seine Mitgliedschaften in nationalsozialistischen Organisationen wie der Waffen-SS zu vertuschen. „Den 1977 verliehen Ehrenring der Stadt haben wir ihm vor zwei Jahren posthum entzogen“, so Hinderer, der in Stuttgart als SPD-Landesgeschäftsführer arbeitet. Historikerin Wein hatte keine großen Probleme, Hoffmanns braune Vergangenheit aufzudecken. Eine digitale Abfrage im Bundesarchiv Berlin lieferte sämtliche Nachweise, um den Handlungsbedarf zu belegen.

Historikerin überprüfte 200 Personen auf NS-Belastung

Besonders in größeren Städten ist es nicht schwer, fündig zu werden. Heilbronn hat 130.000 Einwohner*innen. Es kommt auf das Wollen der Kommune an und die Bereitschaft, sich mit Widerstand aus dem konservativen Lager auseinanderzusetzen. OB Mergel ist gründlich vorgegangen. Die Historikerin erhielt für 18 Monate eine Anstellung in Vollzeit. Außerdem begleitete ein wissenschaftliches Expertengremium ihre Arbeit. Wein überprüfte über 200 Personen auf eine mögliche NS-Belastung. Sie berichtet über ihre Nachforschungen: „Entscheidende und auch schwierige Quellen sind Spruchkammerakten der Entnazifizierung.” Diese Laiengerichte hätten sich zu „Mitläuferfabriken“ entwickeltet.  

Die Dokumente sind problemlos zu finden. Sie sind im Staatsarchiv hinterlegt. Weitere Quellen, die sie sichtete, waren Bestände des NS-Lehrerbunds und vor allem das Bundesarchiv. Die NSDAP-Mitgliederkartei ist noch vorhanden, wie auch die Aktenbestände zur SA und SS. Ferner wertete sie die Dokumente der Reichskulturkammer und diverse Personal-Akten aus. Die am nächsten liegende Suche fand in Stadt- und Lokalzeitungsarchiven statt.

Unrecht soll nicht aufgerechnet werden

Am Ende standen die Namen von knapp 40 Personen zur Diskussion. Für sieben gab die Expertenkommission eine Empfehlung zur Umbenennung ab. Darunter sind der schwäbische Mundartdichter August-Lämmle und der Erfinder des Wankel-Motors, Felix-Wankel. Er war bei näherer Betrachtung der historischen Quellen mit dem Nazi-Regime vielfach verbunden. Der Schriftsteller Otto Rombach hatte die Ehrenmedaille der Stadt Heilbronn erhalten, was heute als Fehler betrachtet wird. Nach dem berühmten Schriftsteller Gerhart Hauptmann ist eine Schule benannt. Inzwischen weiß man, dass der Träger des Literatur-Nobelpreises wohl einer Hitler-Fan war.

Susanne Wein ist mit dem Ergebnis des Umbenennungsprozesses sehr zufrieden: „Wir waren uns einig, dass es keine Aufrechnung unrechter Taten während des Drittes Reiches und positiver Leistungen nach dem Krieg geben darf.“ Ein Verschweigen der Nazi-Vergangenheit könne auch 80 Jahre danach nicht entschuldigt werden. In Heilbronn sei gut gelaufen, dass der Gemeinderat die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die persönlichen Einschätzungen einzelner Bürger*innen gestellt habe. Diese hätten verlangt, alte Wunden nicht aufzureißen. Oder sie wollten von der eigenen Betroffenheit ablenken. Wein bedauert: „Erstaunlicherweise und leider viel zu selten sagen Anwohner*innen: Gut, wenn ich nicht länger in einer Straße wohne, die nach einem Nazi-Kollaborateur benannt ist.“

Debatten verlaufen von Stadt zu Stadt anders

Professorin Saskia Handro von der Universität Münster forscht zur Erinnerungskultur und kennt sich aus in der Umbenennungsdebatte. Diese verliefen von Stadt zu Stadt „sowas von unterschiedlich“. Werde in zehn Städten über den Hindenburgplatz beraten, kämen zehn unterschiedliche Lösungen heraus. Handro plädiert dafür, die Straßennamen einer Stadt grundsätzlich zu überprüfen, um zu klären, wieviel Nazi-Vergangenheit in den Benennungen tatsächlich steckt. So könne die Salzburger Straße ihren Namen deswegen bekommen habe, weil damals eine lokale Nazi-Größe den Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich feiern wollte. 

Autor*in
Uwe Roth

ist freier Journalist. Er ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung und dort im Redaktionskreis für eine DIN Einfache Sprache. Webseite: leichtgesagt.eu

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