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SPD-Abgeordnete Cademartori: „Wir wollen mehr Vielfalt in der Innenstadt“

„Die Innenstädte kämpfen zunehmend mit Leerstand und verlieren an Attraktivität”, sagt Isabel Cademartori. Im Interview erklärt die SPD-Bundestagsabgeordnete, mit welchen Maßnahmen ihre Fraktion die Stadt- und Ortszentren zukunftsfähig machen will.

von Carl-Friedrich Höck · 22. Juli 2024
Porträtfoto Isabel Cademartori

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Isabel Cademartori

DEMO: Die SPD-Bundestagsfraktion hat ein Positionspapier zur Zukunft der Innenstädte erarbeitet. Darin warnt sie vor „toten Innenstädten“ – woher rührt diese Sorge?

Isabel Cademartori: Es ist landauf, landab zu beobachten, dass die Innenstädte unter Druck geraten sind. Der stationäre Einzelhandel leidet durch den Online-Handel und verändertes Konsumverhalten. Wir haben eine schwierige Entwicklung auf dem Immobilienmarkt mit Blick auf Gewerbeimmobilien. Die Innenstädte kämpfen zunehmend mit Leerstand und verlieren an Attraktivität.

Wie entsteht so ein Positionspapier und welchem Zweck dient es?

Das Positionspapier bildet die Diskussionen ab, die wir in der Fraktion dazu geführt haben, insbesondere in den Arbeitsgruppen Kommunalpolitik und Bauen/Wohnen/Stadtentwicklung. Auch aus unserer AG Wirtschaft sind viele Ideen eingeflossen. Zweck des Papiers ist es, nach außen zu zeigen: Wir nehmen das Thema wahr und wir haben konkrete Vorschläge dazu. Auch in der breiten Öffentlichkeit ploppt die Debatte um unsere Innenstädte immer wieder hoch, wenn beispielsweise Galeria-Kaufhof-Filialen zumachen. Aktuell geht durch die Medien, dass die Einzelhandelskette „Depot“ Insolvenz anmeldet.

Kern des Positionspapiers sind zwölf Forderungen. Zum Beispiel soll das Baurecht novelliert werden. Mit welchem Ziel?

Um Innenstädte lebendig zu halten, brauchen wir eine stärkere Nutzungsmischung, als das bisher der Fall ist. Oft reiht sich in Innenstädten eine Einzelhandelskette an die nächste, und abends werden dann sprichwörtlich die Bürgersteige hochgeklappt. Wir wollen mehr Vielfalt: Wohnungen in der Innenstadt, Spielplätze, Bibliotheken, öffentliche Einrichtungen, Kulturstätten, Gastronomie und auch Clubs. Momentan ist das Baugesetzbuch aber nicht flexibel genug, wenn es darum geht Flächen umzuwidmen. Das ist teilweise gar nicht möglich oder nur mit extremem bürokratischen Aufwand. Wir wollen Experimentierklauseln einführen und auch Zwischennutzungen rechtlich vereinfachen.

Für das Baurecht ist die SPD-Ministerin Klara Geywitz zuständig. Sie hat auch eine Baurechtsnovelle angekündigt. Wie ist der aktuelle Stand?

Diese Woche sind wir einen Schritt weitergekommen. Die Baurechtsnovelle war lange in Geiselhaft des Koalitionspartners FDP. Im Zuge der Haushaltsverhandlungen ist es Bundeskanzler Olaf Scholz gelungen, eine Zusage der FDP einzuholen, dass die Baurechtsnovelle jetzt ins Kabinett kommt. Dort soll sie dann beschlossen und dem Parlament zugeleitet werden.

Eine weitere Forderung aus dem Fraktions-Papier lautet Die Kommunen sollen eine aktive Bodenpolitik betreiben können, zum Beispiel indem sie Schlüsselimmobilien ankaufen oder für wichtige Gebäude ein Vorkaufsrecht ausüben. Warum gelingt diese Bodenpolitik bisher zu selten?

Das liegt zum einen daran, dass Kommunen nur ein sehr eingeschränktes Vorkaufsrecht haben. Sie dürfen es nur in Sanierungsgebieten nutzen. Und wenn sie es tun, müssen sie in der Regel hohe Marktpreise zahlen, was die Kommunen finanziell überfordert. Eine Lösung wäre es, dass Kommunen nur den niedrigeren Verkehrswert zahlen müssen, wenn der Ankauf im öffentlichen Interesse liegt. Dann könnten sie strategisch am Markt teilnehmen. Wenn Schlüsselimmobilien einfach an den Meistbietenden verhökert werden, kann es passieren, dass dort Spielhallen oder Sportwetten-Läden einziehen, weil die das meiste Geld zahlen können.

Die SPD-Fraktion fordert: Es soll einen sozialen, klaren und einheitlichen Plan für ein Gewerbemietrecht geben. Was ist damit gemeint?

Im Wohnungsmietrecht gibt es viele Bestimmungen, die Mieter*innen vor der Willkür des Vermieters schützen. Für Gewerbemieten gibt es so etwas kaum. Viele Gewerbetreibende und Einzelhändler, die keine Großkonzerne sind, geben uns die Rückmeldung, dass sie den Preiserhöhungen und Vorstellungen der Vermieter relativ schutzlos ausgeliefert sind. Teilweise werden die Preise ohne Vorwarnung drastisch erhöht. Dahinter stehen oft große Immobilienfonds. Ein anderes Thema ist spekulativer Leerstand. Wohnungen dürfen nicht über einen langen Zeitraum leerstehen, wenn sie eigentlich vermietet werden könnten. Das nennt sich Zweckentfremdungsverbot. So etwas könnte man auch im Gewerbemietrecht verankern.

Wir könnten auch einen Mietspiegel für Gewerbemieten einführen, an dem sich die Preise zu orientieren haben. Wenn die Mieten aus dem Ruder laufen, bleiben oft die kleinen inhabergeführten Geschäfte außen vor.

Ein neues Gewerbemietrecht – ist das mit der Ampel-Koalition überhaupt zu realisieren?

Es wäre ein wegweisender Schritt nach vorne. In der aktuellen Konstellation habe ich aber wenig Hoffnung, dass wir hier mit der FDP kurzfristig zu Lösungen kommen. Trotzdem müssen wir das Thema in die politische Debatte bringen. Bislang wird das recht wenig diskutiert, obwohl es ein großer Hebel wäre, um Innenstädte zu stabilisieren.

Die SPD-Fraktion will Klimaschutz und Klimaanpassung mit der Innenstadt-Entwicklung verzahnen. Was schwebt Ihnen vor?

Es geht darum, Innenstädte zu schaffen, die klimaresilient sind und auch im Sommer nutzbar bleiben. Das bedeutet: Wir brauchen Schatten, Grünflächen und Böden, die Wasser aufnehmen und speichern können. Der Bund hat ein Förderprogramm aufgesetzt, dass Kommunen bei der Klimaanpassung unterstützt. Bei der Innenstadtentwicklung mitdenken müssen wir auch Themen wie Solarenergie und Ladesäulen für klimafreundliche Mobilität.

Sie sind Verkehrspolitikerin. Es gibt Stimmen, die eine vermeintlich autofeindliche Verkehrspolitik dafür verantwortlich machen, dass Geschäfte im Stadtzentrum weniger Umsatz machen. Ist da etwas dran?

Diese Argumente sind wissenschaftlich gut zu widerlegen. Es gibt etliche Studien, die zeigen, dass verkehrsberuhigende Maßnahmen – verbunden auch mit Aufwertung der Aufenthaltsqualität – sich eigentlich immer positiv auf Innenstädte, auf die Frequenz und den Umsatz der Geschäfte auswirken. Wenn man es gut macht, wirkt die Verkehrswende positiv auf die Innenstädte.

Trotzdem bleibt die Frage: Wie lässt sich die Erreichbarkeit der Innenstädte verbessern?

Jede Innenstadt ist anders und hat andere Bedürfnisse. Meine Stadt Mannheim zum Beispiel ist von einem großen Einzugsgebiet abhängig. Um hier genug Kaufkraft in die Geschäfte zu bekommen, muss die Stadt gut erreichbar sein. Das heißt aber nicht, dass man mit dem Auto direkt vors Geschäft fahren können muss. Es reicht, wenn es Stellplätze gibt, wo man das Auto abstellen kann und von wo aus man mit anderen Verkehrsmitteln gut die Innenstadt erreicht. Viele Erhebungen zeigen, dass etwas anderes für die Stadtzentren viel wichtiger ist als die Frage, wie nah man am Geschäft parken kann: nämlich, dass man sich gerne im Stadtzentrum aufhält, dass man hier flanieren und einen schönen Tag verbringen kann.

Isabel Cademartori gehört in der SPD-Bundestagsfraktion unter anderem der AG Kommunalpolitik an und ist verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion. Am Positionspapier zur Zukunft der Innenstädte hat sie – gemeinsam mit dem kommunalpolitischen Sprecher der Fraktion Bernhard Daldrup – federführend mitgewirkt.

Mehr zum Thema:
Das Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion aus dem November 2023 ist hier als PDF abrufbar.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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