„Gutes Zusammenspiel ist entscheidend“
Wie Land und Kommunen gemeinsam Sicherheitsfragen anpacken können, erklärt Michael Ebling (SPD). Der Innenminister von Rheinland-Pfalz rät dazu, nicht nur Kriminalstatistiken, sondern auch subjektive Gefühle ernstzunehmen.
Innenministerium RLP
Michael Ebling setzt auf Sicherheit.
DEMO: Sie waren zehn Jahre lang Oberbürgermeister von Mainz. Gemessen an den Straftaten pro Einwohner ist es die viertsicherste Stadt in Deutschland. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Michael Ebling: Nein (lacht). Die Polizei in Rheinland-Pfalz macht sehr gute Arbeit. Sie hat eine hohe Aufklärungsquote, die im bundesweiten Vergleich immer unter den Top Drei liegt. Das prägt auch die Situation in der Landeshauptstadt.
Welche Rolle hat das Thema Sicherheit in Ihrer Amtszeit als Oberbürgermeister gespielt?
Immer eine große. Das Sicherheitsgefühl ist von hoher Bedeutung für die Frage, ob Menschen gerne an einem Ort leben. Gefühle sind subjektiv. Es wäre keine kluge politische Antwort, den Menschen nur anhand objektiver Statistiken zu erklären, dass sie sich ganz anders fühlen sollten. Man muss auch mit ihnen darüber sprechen, warum sie sich an manchen Orten nicht sicher fühlen – und sich fragen, wie man das ändern kann. Sei es durch eine Umgestaltung der Orte, oder indem man die Kontrolldichte erhöht.
Seit Oktober 2022 sind Sie Innenminister von Rheinland-Pfalz. Haben Ihre Erfahrungen als Kommunalpolitiker Ihre Herangehensweise an das neue Amt geprägt?
Natürlich. Dazu gehört die Erkenntnis, dass Sicherheitsthemen auf der kommunalen Ebene sinnvollerweise im Verbund beantwortet werden. Wir müssen ein Prinzip durchbrechen, dass mir leider noch oft begegnet: dass alles, was annähernd mit Sicherheit zu tun hat, zur Aufgabe der Polizei erklärt wird. Wenn eine Verwaltung die Zuständigkeit für ein Thema erst mal abgegeben hat, sieht sie sich auch nicht mehr als Teil der Problemlösung.
Was ist daran falsch?
Wenn an einem Ort Sicherheitsthemen auftauchen, brauchen wir natürlich eine gut funktionierende, gut ausgestattete und handlungsfähige Polizei. Kommunen haben aber – im Zusammenspiel mit der Polizei – eine viel größere Palette an Möglichkeiten. Denken wir an einen Ort, wo viele Menschen sich nicht sicher fühlen, weil eine bestimmte Gruppe ihn für sich erobert hat, die Krawall macht. Wo aggressiv gebettelt wird, Alkohol im Spiel ist oder das Erscheinungsbild des Ortes Unbehagen bereitet. Dann kann ich auf der einen Seite repressiv vorgehen, mit einem kommunalen Vollzugsdienst, der Platzverweise erteilt und sie gemeinsam mit der Polizei durchsetzt. Die Kommune kann solche Plätze aber auch aktiv zurückerobern, mit Veranstaltungen oder neuen Nutzungsangeboten für die Menschen. Sogar die Entsorgungsbetriebe können einen Einfluss auf die Situation nehmen, indem sie die Reinigung zu anderen Tageszeiten stattfinden lassen. Ein gutes Zusammenspiel zwischen Land und Kommune ist für die objektive Sicherheit und das subjektive Sicherheitsgefühl ganz entscheidend.
Wie sieht aus Ihrer Sicht eine gute Zusammenarbeit von Ordnungsämtern und Polizei aus?
Sie sollte von dem Gedanken getragen werden, wie man eine Aufgabe gemeinsam lösen kann, und nicht davon, wer gerade die Zuständigkeit hat. Natürlich gibt es eine Aufgabenverteilung mit unterschiedlichen Rollen. Die kommunalen Vollzugsdienste sind im besten Fall Ansprechpersonen vor Ort, die im Stadtbild dauerhaft sichtbar sind und dafür sorgen, dass Regeln eingehalten werden. Das setzt voraus, dass die Kommunen finanziell ausreichend ausgestattet sind und genügend Personal gewinnen können. Als Oberbürgermeister war es mir früher wichtig, dass wir eine Stadtwache geschaffen haben – mit einer Theke, wo man einfach hingehen und das Ordnungsamt möglichst rund um die Uhr ansprechen kann. Die Polizei hat noch weitere Aufgaben und mehr Befugnisse. Deshalb ist eine enge Zusammenarbeit mit den kommunalen Vollzugsdiensten wichtig, zum Beispiel im Vorfeld von Veranstaltungen. Wenn es geboten ist, können sie auch gemeinsam Präsenz zeigen. Die Erfahrung zeigt, dass Frühwarnsysteme besser funktionieren, wenn Polizei und Ordnungsämter partnerschaftlich arbeiten.
Kommunalverbände beklagen, dass die Länder in der Vergangenheit bei der Polizei gespart hätten – und die Kommunen dadurch gezwungen wurden, die entstandene Lücke mit eigenen Ordnungskräften aufzufüllen. Gibt es diese Debatte auch in Rheinland-Pfalz?
Nein. Wir haben in Rheinland-Pfalz konsequent Polizei aufgebaut. Wir tun das auch jetzt noch und wollen noch im Jahr 2024 die Zahl von 10.000 Polizeibeamtinnen und -beamten erreichen. Im Verhältnis zum Bund ist es in Rheinland-Pfalz deutlich unwahrscheinlicher, Opfer eines Verbrechens zu werden. Gleichzeitig liegt die Wahrscheinlichkeit höher, einen Polizeibeamten zu treffen. Das erhöht das Sicherheitsgefühl. Ich beobachte allerdings auch gesellschaftliche Entwicklungen, die unsere Ordnungskräfte deutlich mehr fordern werden. Spannungen, Provokationen und Gewaltdelikte im öffentlichen Raum nehmen zu.
Wie reagieren Sie darauf?
Wir haben den kommunalen Vollzugsdiensten ermöglicht, am Digitalfunk unserer Sicherheitsbehörden teilzunehmen. Damit können sich die Einsatzkräfte noch besser vernetzen. Und wir haben den Ordnungsämtern erlaubt, einzelne Fahrzeuge mit Blaulicht auszustatten.
Wie sieht für Sie eine gute Aufgabenteilung bei der Kriminalprävention aus? Was sind die Stärken der kommunalen Ebene und was kann das Land tun?
Die Polizei ist es gewohnt, Strukturen und Entscheidungswege schnell an neue Gefahrenlagen anzupassen. Sie hat eine Analysefähigkeit und Problemlösungskompetenz, die für jede kommunale Präventionsstrategie gut ist. Was die kommunalen Verwaltungen ausmacht, ist das Zusammenspiel sehr unterschiedlicher Professionen. Wenn es gelingt, sie alle an einen Tisch zu holen, zum Beispiel mit kriminalpräventiven Räten, kann man jeder klassischen Lage Herr werden.
Können Sie das bitte genauer erklären?
Wenn in einer bestimmten Altersgruppe problematische Hot-Spots entstehen, ist die Kompetenz des Jugendamtes manchmal genauso gefragt wie die Fähigkeiten der Stadtplanungsbehörde oder des Grünflächenamtes, um örtliche Gegebenheiten zu verändern. Da darf man auch gerne mal um die Ecke denken. Zum Beispiel, indem an öffentlichen Nahverkehrs-haltestellen Musik gespielt wird. Das erscheint vielleicht zunächst als verrückte Idee. Es kann aber Leute fernhalten, die nicht auf den Bus oder die Bahn warten, sondern Quatsch im Sinn haben und am Ende Sachbeschädigung begehen.
In Rheinland-Pfalz gibt es eine Leitstelle Kriminalprävention. Sie hat die Initiative „Sicherheitsgefühl in Kommunen stärken“ ins Leben gerufen. Worum geht es da?
Unter anderem ermöglichen wir Kommunen, beispielhafte Befragungen zu machen, um herauszufinden: Wo und wann fühlen sich die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr sicher? Damit müssen wir uns ehrlich auseinandersetzen. Auch dann, wenn das polizeiliche Lagebild vielleicht zu einem ganz anderen Ergebnis kommt. Unsere Städte sind bunter und vielfältiger geworden, nicht zuletzt durch Migration. Subjektiv kann das bei Menschen dazu führen, dass sie Gefühle von Unruhe und Fremdsein entwickeln. Darauf muss ich mit einer ehrlichen Politik eine Antwort geben. Natürlich in Abgrenzung zu denen, die Veränderungen nutzen, um zu hetzen und Zuwanderung schlechtzureden. Wenn Menschen seit 20 oder 30 Jahren mit einem Quartier verbunden sind und nun dort Veränderungen erleben, müssen sie das beschreiben und ihre Gefühle mitteilen können.
Wie kann eine ehrliche politische Antwort aussehen?
Wenn in Mietshäusern die Nachbarn nicht mehr alle nur deutsche Namen tragen, kann bei Menschen das Gefühl entstehen, sich nicht mehr zu Hause oder sicher zu fühlen. Daraus sollten wir aber nicht ableiten, dass Migration falsch sei. Sondern wir sollten – zum Beispiel mit den Ortsbeiräten – Projekte ins Leben rufen, mit denen sich die neuen Nachbarn gegenseitig kennenlernen können.
Zurück zur Initiative „Sicherheitsgefühl“: Was passiert da noch?
Wir bieten Kommunen an, Teil einer Initiative zu werden, um das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger zu stärken. Das Land unterstützt die Präventionsarbeit vor Ort. Dazu gehören die genannten Befragungen, die mit einer finanziellen Förderung verbunden sind. Außerdem wollen wir die landes- und bundesweite Vernetzung in der Präventionsarbeit stärken, damit Best-Practice-Modelle bekannter werden. Und wir setzen auf Weiterbildung. Wir haben ein Qualifizierungsprogramm aufgesetzt, das sich unter anderem an Menschen aus der Sozialarbeit, Jugendarbeit oder Erwachsenenbildung richtet. Sie können sich zur „Fachkraft Kriminalprävention“ weiterbilden.
Als Reaktion auf den Anschlag in Solingen plant die Bundesregierung verschärfte Messerverbote – unter anderem für öffentliche Veranstaltungen oder kriminalitätsbelastete Orte. Wie bewerten Sie das?
Eine Verschärfung des Waffenrechts begrüße ich grundsätzlich. Ich will mich nicht durch den öffentlichen Raum bewegen und fragen müssen, wer hier von den Menschen wohl ein Messer mit sich führt. Dafür gibt es für mich – abgesehen von wenigen Berufsgruppen – keinen Grund. Eine Tat wie Solingen lässt sich durch solche Verbote zwar kaum verhindern, aber bundesweit sind Messer in den vergangenen Jahren eben immer häufiger als Tatwaffe zum Einsatz gekommen. Deshalb ist es richtig Maßnahmen zu ergreifen, um dieses Phänomen wieder einzudämmen und der Polizei auch einen erweiterten Handlungsspielraum zu geben. In Rheinland-Pfalz haben wir – anders als bei den bundesweiten Zahlen – aktuell aber eher eine rückläufige Zahl an Verbrechen mit Messern, deshalb benötigen wir hierzulande akut keine Waffenverbotszonen. Dennoch ist es gut, wenn auf Bundesebene entsprechende Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Denn auch wir beurteilen die Lage ständig neu und könnten so entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.