Dringender Appell: „Gewalthilfegesetz jetzt verabschieden“
Der Entwurf eines Gewalthilfegesetzes der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen fand breiten Anklang bei den geladenen Sachverständigen während einer Anhörung. Aber es wurden auch Bedenken von kommunaler Seite laut.
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Kinder gewaltbetroffener Frauen spielen in einem Frauenhaus in Bochum. Nach Plänen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen soll das Hilfesystem nachhaltig gestärkt werden.
Auf den letzten Metern dieser Legislaturperiode fand gestern im Bundestag eine Anhörung zu einem Gesetz statt, das den Opfern von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt umfassende Unterstützung garantieren soll. Das soll unter anderem dadurch erreicht werden, indem der Bund sich an der Finanzierung von Beratungsstellen und Frauenhäusern beteiligt. Das Ziel: Alle von Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen sollen kostenlos Beratung und Schutz finden. Dafür soll laut den Plänen ein individueller Rechtsanspruch eingeführt werden, der von 2030 an gelten soll.
Von den Sachverständigen, die am Montag an der Anhörung des Familienausschusses teilnahmen, kam überwiegend Zustimmung: So begrüßte Stefanie Fraaß vom bayrischen Landesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) die Gesetzesinitiative der Bundesregierung: „Jeder Tag, jede Woche, jeder Monat, jedes Jahr, das jetzt noch vergeht, kostet Menschenleben – und es kostet auch Geld“, sagte sie mit Blick auf die offiziellen Zahlen des Bundeskriminalamtes. 360 Femizide verzeichnete die Statistik für das Jahr 2024.
Finanzielle Beteiligung des Bundes
Bislang sei es jeder Kommune, jedem Bundesland selbst überlassen, ob und wie viel Geld in den Schutz von gewaltbetroffenen Frauen investiert werde, so Fraaß. Freiwillige Leistungen der Kommunen, Zuschüsse vom Land, Spenden und eigene Mittel der Trägerorganisationen, teilweise sogar aus Sozialhilfeansprüchen und eigenen Mitteln der Frauen – so werde das Hilfesystem bisher finanziert, machte die AWO-Mitarbeiterin deutlich.
Deshalb sei eine finanzielle Beteiligung des Bundes wichtig, insbesondere wäre eine unbefristete Beteiligung des Bundes aus Sicht der AWO wünschenswert. Bisher ist die Beteiligung des Bundes nur befristet vorgesehen. Fraaß: „Solange Gewaltschutz eine freiwillige Leistung bleibt, werden sich Landräte und Landrätinnen und Bürgermeister*innen immer die Frage stellen, wie viel sich die jeweilige Kommune leisten kann.“
„Hilfesystem völlig unzureichend“
Auch Katja Grieger, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Notrufe kritisierte, die Beratungsstellen seien „eklatant unterfinanziert“. Sie hofft auf einen parteiübergreifenden Schulterschluss, damit die Beratungsstellen künftig auf eine sichere finanzielle Grundlage gestellt werden können.
Sibylle Schreiber von der Frauenhauskoordinierung e.V. sagte, „dass die Anträge aller Parteien zum Ausdruck bringen, dass das jetzige Hilfesystem völlig unzureichend ist“. Sie appellierte eindringlich, das Gewalthilfegesetz zu verabschieden. Es sei das Ergebnis jahrelanger Beratungen. Sie bat „im Namen der betroffenen Frauen jetzt zu einer Einigung zu kommen, völlig unabhängig von Parteizugehörigkeit und Wahlkampf“.
„Istanbul-Konvention umsetzen“
Die Sozialwissenschaftlerin Barbara Kavemann begrüßte den Gesetzentwurf ausdrücklich. Die Professorin lobte die Stärken des Gesetzes, insbesondere den individuellen Rechtsanspruch. Es sei überfällig, dass die Beratungs- und Schutzangebote bei geschlechtsspezifischer Gewalt und häuslicher Gewalt „aus dem Bereich der freiwilligen Leistungen genommen und in einen Rechtsanspruch überführt würden. „Erst mit diesem Schritt wird anerkannt, dass die Gewalt im privaten Raum keine private Angelegenheit ist“, betonte Kavemann.
Sie beurteilte außerdem positiv, dass der Entwurf sich an einem ganzheitlichen Ansatz orientiere und die Vorgaben der Istanbul-Konvention und der EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt umsetze. Deutschland hat die Istanbul-Konvention 2017 ratifiziert.
Bedenken der kommunalen Spitzenverbände
Trotz großer Zustimmung wurden teilweise aber auch Bedenken an dem Gesetzentwurf laut. Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände unterstütze die Ziele des Gesetzes und sehe Veränderungsbedarf, wie Tanja Demmel vom Deutschen Städtetag versicherte. Aber die Einführung eines individuellen Rechtsanspruchs sei „nicht umsetzbar“.
Demmel führte Argumente wie Personalmangel und Verzögerungen bei Bauvorhaben ins Feld. Der Zeitraum, den das Gesetz vorgebe, sei zu kurz. Der Bund soll sich nach den Plänen Anfang 2027 am Ausbau des Hilfesystems finanziell beteiligen, der Rechtsanspruch bereits am 1.1. 2030 in Kraft treten. „Drei Jahre sind aus Sicht der kommunalen Verbände aber nicht genug, um ausreichend Schutzplätze zu schaffen und durch qualifiziertes Personal zu betreuen“, führte Demmel aus. Der Entwurf wecke Erwartungen, die aller Voraussicht nach nicht erfüllt werden könnten.
Fokus auf Rechte von Frauen und Kindern
Ein weiterer Einwand aus kommunaler Sicht kam von Dennis Triebsch, Leiter des Amtes für Soziale Leistungen, Senioren und Menschen mit Behinderungen der Stadt Augsburg. Grundsätzlich begrüßte er das Gesetz, insbesondere die finanzielle Beteiligung des Bundes. Das Gewalthilfegesetz sollte aber – nicht zuletzt aus Kostengründen – den Fokus auf Frauen und Kinder richten, sagte er. Sie seien am meisten von Gewalt betroffen. Im Gesetzentwurf ist von „gewaltbetroffenen Personen“ die Rede. Eine Überforderung der kommunalen Ebene erscheine nicht unwahrscheinlich, befürchtete Triebsch.
Einigung offen
Ob der Gesetzentwurf noch im Bundestagsplenum beraten und beschlossen wird, ist offen. Am morgigen Mittwoch trifft sich der zuständige Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das Thema ist noch nicht auf der Tagesordnung. Die Unionsfraktion hat einen eigenen Entwurf zum Gewaltschutz vorgelegt. Sollte der Entwurf von SPD und Bündnis 90/Die Grünen nicht mehr in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden, ist für Betroffene und Akteure weiter ungewiss, ob und wie die Situation sich verändert.
Ralf Bauer
ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.