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Wie Kommunen das Sicherheitsgefühl der Bürger erhöhen können

Sicherheit fängt bei der Stadtplanung an. Zwei Expertinnen erklären, worauf Kommunen achten sollten, damit etwa Angsträume nicht entstehen.

 

von Carl-Friedrich Höck · 10. Oktober 2024
Bahnhof Oberhausen

Ein Bahnhof in Oberhausen: Fehlende Sichtbeziehungen und Verwahrlosung sind klassische Zutaten für einen sogenannten Angstraum.

Mehr Polizei! Mehr Videoüberwachung! Diese ­Forderungen werden fast immer ­gestellt, wenn ein Platz oder Park in den Ruf gekommen ist, gefährlich zu sein. ­Gute Kommunalpolitik kann aber bereits ­vorher ansetzen. Eine weitsichtige Stadt­planung und -gestaltung ist für das ­Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger mindestens ebenso wichtig.

Mary Dellenbaugh-Losse ist Humangeografin und berät Kommunen unter anderem zu gendergerechter Stadtentwicklung. Sie unterscheidet zwischen Gefahrenorten und Angsträumen. An Gefahrenorten lässt sich eine hohe Kriminalitätsrate statistisch nachweisen – das kann zum Beispiel ein belebter Platz mit einer hohen Zahl an Taschendiebstählen sein. Bei Angsträumen ist das nicht zwingend der Fall. Die Forscherin beschreibt sie als „Orte, die sich gruselig anfühlen”.

Was Menschen Angst macht

Klassische Merkmale solcher Angst­räume seien fehlende Fluchtwege und Sichtbeziehungen, Einengung und Verlassenheit. Das kann auf einen langen Bahnhofstunnel zutreffen oder einen dunklen Park. Die Forscherin macht es an Fragen fest wie: „Habe ich das Gefühl, dass mich jemand hört, wenn ich rufe?“ 
Wohnungslose Menschen oder Trinker könnten ein weiterer Angstfaktor sein. Doch auch sie hätten ein Anrecht, den öffentlichen Raum zu nutzen, betont Dellenbaugh-Losse. Die Stadt Wien verfolgt den Ansatz, diese Menschen von hoch frequentierten Stellen wie ­U-Bahn-Ausgängen wegzulocken und so Nutzungskonflikte zu entschärfen. Zum Beispiel, indem Parkbänke entfernt und an einer ruhigeren Stelle wieder hin­gestellt werden.

Dellenbaugh-Losse und ihr Team werden oft erst kontaktiert, wenn ein Angstraum bereits entstanden ist. Besser wäre es, das Thema bei Neu- oder Umbauprojekten gleich mitzudenken. Die Expertin empfiehlt, nicht nur aus der Vogelperspektive auf Stadtentwicklungsprojekte zu schauen. „Wir machen digitale Raumbegehungen“, berichtet sie. So ließen sich schwierige Ecken im Vorhinein identifizieren. Dellenbaugh-Losse ist auch überzeugt, dass veränderte Beteiligungsverfahren einen Beitrag leisten können, Angsträume zu verhindern. Frauen seien zum Beispiel in öffentlichen Beteiligungsformaten häufig unterrepräsentiert, weshalb ihre Erfahrungen zu wenig zu Wort kämen.

Mary Dellenbaugh-Losse

Wir machen digitale Raumbegehungen.

Partizipation ist auch ein wichtiger Aspekt in der Arbeit von Anke Schröder. Die Architektursoziologin arbeitet beim „Kompetenzzentrum Urbane Sicherheit“ (KURBAS), das beim Landeskriminalamt Niedersachsen angesiedelt ist. Dorthin können sich Kommunen wenden, die Rat suchen. Die Arbeit von KURBAS fußt auf drei Säulen: Forschung, Beratung und Netzwerkarbeit.

Kompetenzzentrum urbane Sicherheit: Praktische Beratung 

Zum Beispiel hat das Zentrum einen Kriterienkatalog zum Thema „Sicherheit als Impuls für mehr Lebensqualität“ erstellt. Schröder erklärt, dass das KURBAS stets drei Dimensionen betrachte, um den Schutz der Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen: erstens die städtebauliche und architektonische Gestaltung, zweitens das Management und drittens die Nutzungsverantwortung. Einfacher gesagt: „Wir wollen, dass die Menschen ­ihren öffentlichen Raum als Wohnzimmer begreifen“, so Schröder. Wenn sie das täten, kümmerten sie sich auch selbst besser um die Orte, an denen sie sich aufhalten.

 Hierfür gebe es verschiedene Kriterien. Dazu zählten baulich-räumliche Aspekte „wie Lesbarkeit, Orientierung, gestalterische Klarheit, Überschaubarkeit, Sichtbarkeit, Beleuchtung, Zugänglichkeit, Robustheit, Werthaltigkeit der Materialien“. Außerdem gehe es in den Kriterien darum, wie die Nutzerinnen und Nutzer beteiligt werden. Die Leitfrage sei dabei: „Was braucht ihr, um euch hier wohl zu fühlen?“, erklärt Schröder. Und nicht zuletzt müsse dafür gesorgt werden, dass öffentliche Räume gereinigt und instand gehalten werden und verschiedene Institutionen in der Nachbarschaft kooperieren.

Das KURBAS hat auch ganz praktische Methoden entwickelt wie „Walk around your hood“. Wenn eine Kommune sich meldet, weil ein Stadtteil Schwierigkeiten hat, organisiert das Kompetenzzentrum ein Treffen. Daran nehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen Verwaltungsbereichen teil, aber auch Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer. Gemeinsam laufen sie eine festgelegte Route ab und nehmen dabei verschiedene Rollen ein: Der Stadtangestellte wird zum Jungen, der seinen Freund zum Fußball abholen möchte. Der Wohnungsunternehmer nimmt die Perspektive einer älteren Dame mit Rollator ein. Und die Polizistin versetzt sich in einen migrantischen Jugendlichen, der nicht weiß, wohin er nach der Schule gehen kann. 

Alle sollen bewerten, ob sich der öffentliche Raum mit dem eingenommenen Blickwinkel gut nutzen lässt. So lassen sich Maßnahmen identifizieren, um die Aufenthaltsqualität für möglichst verschiedene Menschen zu erhöhen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es Kipppunkte gibt: Wenn eine Nutzergruppe einen Ort zu stark dominiert, fühlen sich andere dort unwohl.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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