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SPD in Radebeul: Wie Leonhard Weist der Jugend eine Stimme gibt

Leonhard Weist ist 19 Jahren alt und SPD-Fraktionsvorsitzender in Radebeul. Er will solidarische Politik gestalten und der jungen Generation eine Stimme geben. Dass in seiner Stadt viele Menschen rechts wählen, schreckt ihn nicht ab.

von Carl-Friedrich Höck · 3. Februar 2025
Leonhard Weist Porträtfoto

Leonhard Weist 

Für einen sozialdemokratischen Politiker gibt es komfortablere Wirkungsstätten als Radebeul. Der 34.000-Einwohner-Stadt im Speckgürtel von Dresden wird nachgesagt, eine außergewöhnlich hohe Millionärsdichte zu haben. Bekannt ist sie auch wegen des Schriftstellers Karl May, der hier lange gelebt hat. Das Stadtbild ist geprägt von zahlreichen Kirchen und Villen. Die konservative Prägung schlägt sich in den Wahlergebnissen nieder. Bei der Kommunalwahl im Juni 2024 landete die CDU mit 32,8 Prozent vorn. Die SPD kam auf 7,2 Prozent. Und jeder Vierte wählte die rechtsextreme AfD. Wenige Wochen vor der Wahl war der SPD-Politiker Matthias Ecke im nahen Dresden beim Plakatieren von vier jungen Männern angegriffen und schwer verletzt worden.

Wer sich hier für die Sozialdemokratie engagiert, muss beharrlich sein und ein dickes Fell haben. So wie Leonhard Weist. Der 19-Jährige ist einer von zwei SPD-Kandidaten, die es in den Stadtrat von Radebeul geschafft haben.

Einzug in den Stadtrat kam unerwartet

Das war selbst für ihn eine Überraschung. „Ich hatte nicht den Plan, gewählt zu werden“, gibt Weist zu. Eigentlich sei es sein Ziel gewesen, eine junge Perspektive in den Wahlkampf der SPD einzubringen. Von den Medien und Mitbürgern wollte er damit aber auch ernstgenommen werden. Deshalb drängte er so lange auf eine gute Listenplatzierung, bis seine Partei ihn auf Platz fünf der Wahlliste setzte. Dann geschah etwas Erstaunliches: Das sächsische Kommunalwahlrecht erlaubt es, Stimmen auf einzelne Bewerber zu verteilen. Weist bekam nach einem intensiven Wahlkampf so viele Kreuze, dass er auf Listenplatz zwei hochrutschte.

Bei einem Treffen Ende November wirkt Leonhard Weist nicht wie ein Politik-Neuling. Er spricht ruhig und überlegt, formuliert druckreife Sätze. Den Genderstern spricht er mit, indem er vor dem „innen“ eine kurze Pause macht. Als Ort für das Gespräch hat der das Bürgerbüro des sächsischen Wirtschaftsministers Martin Dulig in Radebeul vorgeschlagen. Ein Fraktionsbüro hat die SPD in Radebeul nicht. „Unsere Fraktionssitzungen finden am Küchentisch statt“, erzählt Weist.

Politische Familie

Das liegt nahe. Denn das zweite Fraktionsmitglied ist ausgerechnet Leonhards Vater Thomas Weist, der die SPD als Spitzenkandidat in die Stadtratswahl geführt hatte. Trotzdem ist Leonhard nun sogar Fraktionsvorsitzender. Es sei eine pragmatische Entscheidung gewesen, erklärt er. „Wir mussten zwei Ausschüsse besetzen, wir mussten Aufsichtsratsposten besetzen und einen Geschäftsführer wählen.“ Vater und Sohn teilten sich die Arbeit auf. Leonhard wusste, dass er oft nach Berlin fahren wird, weil er dort ein Freiwilliges soziales Jahr bei einem Bundestagsabgeordneten absolviert. Also übernahm er vorwiegend Aufgaben, die man auch vom Zug aus erledigen kann. Am Ende blieb noch der Fraktionsvorsitz übrig. „Wir haben hart verhandelt“, schmunzelt Leonhard. Ihre Zusammenarbeit hätten sie sogar in einem Vertrag geregelt. 

Die besondere Konstellation hat auch Nachteile, denn die Politik lässt sich nur selten ausblenden. Selbst wenn die Familie abends einen Film schaut, kann es vorkommen, dass zwischendrin noch dringende Angelegenheit besprochen werden. „Für meine Mutter ist es nicht immer ganz so witzig“, räumt Leonhard ein.

Von Fridays for Future zur SPD

Trotz seines Vaters war der Weg in die SPD für Leonhard Weist nicht vorgezeichnet. Politisiert wurde er durch die Fridays-for-Future-Bewegung, da war er 13, 14 Jahre alt. Am Lößnitzgymnasium gründete er eine Klima-Arbeitsgruppe mit. Sie erklärte auf Flyern, wie man Weihnachten nachhaltig feiern kann, und organisierte Umweltschutz-Workshops für Fünftklässler. In dieser Zeit wurde Leonhard auch zum Schülersprecher gewählt, engagierte sich im Vorstand des Kreis- und des Landesschülerrates. „Das war eine sehr prägende Zeit“, sagt er rückblickend. Vor allem während der Corona-Pandemie habe er gemerkt, wie wichtig es sei, sich für andere einzusetzen – denn nicht alle hätten die Möglichkeiten, sich selbst Gehör zu verschaffen.

Der Stadt verbunden

Leonhard Weist in Radebeul: Hier ist er aufgewachsen und engagiert sich nun auch in der Kommunalpolitik, um jungen Menschen eine Stimme zu geben. Für Sozialdemokrat*innen ist die sächsische Kreisstadt schwieriges Terrain. Die mit Abstand stärksten Fraktionen im Stadtrat sind CDU und AfD.

Leonhard Weist in Radebeul

Als Schülersprecher hielt er sich bewusst aus der Parteipolitik heraus. Erst danach trat er in die SPD ein. Und das heimlich, sein Vater erfuhr erst später über Umwege davon. Die Wahl fiel auf die SPD, weil er überzeugt ist, dass Klimaschutz mit sozialem Ausgleich einhergehen muss.

Selbst als SPD-Kandidat im Wahlkampf dachte Leonhard Weist noch über Parteigrenzen hinweg. Weil es in Radebeul bis heute kein Jugendparlament gibt, veranstaltete er zusammen mit Kandidaten anderer demokratischer Parteien einen Jugendgipfel. Dort konnten Jugendliche in Workshops ihre Wünsche an den Stadtrat diskutieren. Die Forderungen will Weist jetzt in den Rat einbringen. Ihm ist wichtig, dass junge Menschen nicht nur gefragt werden, wenn es um einen neuen Kinderspielplatz oder Skatepark geht. „Der Gipfel hat gezeigt: Junge Menschen interessiert eigentlich alles.“ Zum Beispiel Verkehrspolitik: Junge Menschen ohne Führerschein wollten schließlich auch als Radfahrende sicher ans Ziel kommen. Oder sozialer Wohnungsbau. Weist berichtet: „Viele meiner Freundinnen und Freunde fangen jetzt eine Ausbildung oder ein Studium an. Sie ziehen alle nach Dresden, weil sie sich in Radebeul keine Wohnung leisten können.“

Trotz Anfeindungen „die Stellung halten”

Dass Leonhard Weist sich für die SPD engagiert, stößt nicht nur auf Wohlwollen. „Ich glaube, es ist langsam politische Realität, dass wir Demokrat*innen regelmäßig angefeindet werden auf der Straße“, sagt er. Das hat der 19-Jährige auch am eigenen Leib erfahren. Er wurde geschubst und einmal hat ihm jemand eine Nachricht auf die Mailbox seines Privathandys gesprochen. „Da wurde mir ziemlich eindrücklich gesagt, dass man mich vergasen lassen will“, erzählt er. Das habe ihn geprägt, er sei dann auch nachts nicht mehr allein Straßenbahn gefahren. 

Trotzdem bleibt er optimistisch: „Ich habe keine Angst davor, dass wir jetzt als Gesellschaft den Bach runtergehen.“ Denn nach seinem Eindruck zeigt die Mehrheit eine Reaktion auf solche Ereignisse: indem sie freundlicher mit Leuten wie ihm umgeht und stärker aufeinander aufpasst. Aufgeben oder aus Radebeul weggehen war für den engagierten Juso ohnehin keine Option. „Es braucht gerade jetzt Menschen, die hier die Stellung halten“, ist er überzeugt. Zum Glück gebe es auch im Osten viele junge Leute, die sich für die Demokratie starkmachten.

Weist will ins Parlament

Leonhard Weist will sogar noch einen Schritt weitergehen: Für die Bundestagswahl 2025 tritt er als Direktkandidat der SPD im Wahlkreis Meißen an. Erneut verbindet er mit dieser Kandidatur das Ziel, junge Perspektiven insbesondere im ländlichen Raum stärker sichtbar zu machen. „Es sind die Jugendclubs, die als erstes verschwinden, wenn die Infrastruktur im ländlichen Raum schwächer wird“, meint er.

In die Wahl geht der Sozialdemokrat als Außenseiter. Auch junge Menschen ticken im Landkreis Meißen vielfach rechts. Bei einer Unter-18-Wahl im Sommer 2024 kam die AfD auf mehr als 50 Prozent. Dabei hat Leonhard Weist in zahlreichen Gesprächen nicht den Eindruck gewonnen, dass es jungen Menschen hier besonders schlecht gehe. Doch viele seien sich der eigenen Privilegien gar nicht bewusst, glaubt Weist. Sie fühlten sich nicht ausreichend gehört und seien empfänglich für Neiddebatten: gegen den Westen, Migrant*innen oder Frauen.

Schockiert über das AfD-Manöver von Merz

Als Mitarbeiter im Bundestag hat Weist nun aus nächster Nähe erlebt, wie CDU-Chef Friedrich Merz versucht hat, ein Gesetz zur Migrationspolitik mit AfD-Stimmen durchzusetzen. „Das war für mich eine sehr schwierige Woche”, berichtet Weist. Seine Wahlkampftermine fürs Wochenende hat er abgesagt und ist in Berlin geblieben, „weil mich das echt mitgenommen hat”. Geschichte wiederhole sich nicht, aber es gebe Parallelen. Das Ende der Weimarer Republik sei nicht durch Konzentrationslager und die „Machtergreifung” eingeleitet worden. Sondern damit, dass die demokratischen Kräfte nicht mehr miteinander agieren konnten und am Ende Mehrheiten mit Faschisten gesucht wurden. „Als junger Mensch meine ich, dass wir verdammt aufpassen müssen.” Er wolle auch in Zukunft noch in diesem Land leben.

Er habe das Vertrauen in Merz verloren, dass dieser aus der Geschichte lerne, sagt Weist. Parteipolitisch ausnutzen will er die Ereignisse im Bundestag nicht. Stattdessen kündigt er einen Offenen Brief an seinen CDU-Mitbewerber an. 

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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