Spiegler zu Kommunen vor Neuwahl: „Alarmstufe Rot herrscht nicht”
Im Gespräch mit Ralph Spiegler über die Vorbereitungen auf die Bundestagswahl am 23. Februar 2025,
die schon angelaufen sind, und die großen Kraftanstrengungen zur Bewältigung der Schuldenkrise.
VG Nieder-Olm
Ralph Spiegler ist Vorsitzender des Gemeinde- und Städtebundes Rheinland-Pfalz und Bürgermeister der Verbandsgemeinde Nieder-Olm.
Ralph Spiegler ist Bürgermeister der Verbandsgemeinde Nieder-Olm, stellvertretender Landesvorsitzender der SGK in Rheinland-Pfalz und Vizepräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.
Nach den monatelangen Streitereien in der Berliner Ampelkoalition kam der Bruch dann doch überraschend. Der Neuwahltermin im Februar 2025 stellt vor allem die Kommunalverwaltungen vor große Herausforderungen. Ist in dieser Gemengelage eine ordentliche Organisation zu bewerkstelligen oder herrscht jetzt in der Weihnachtszeit schon „Alarmstufe Rot“?
Spiegler: Nein, „Alarmstufe Rot“ herrscht nicht. Wahlen sind das Hochamt der Demokratie und Städte und Gemeinden können sie verlässlich organisieren. Wir sind darin geübt. Klar ist aber auch, dass es bei kurzen Vorlaufzeiten nicht einfacher wird. Viele Dinge müssen innerhalb kürzerer Fristen erfolgen, daher beginnen wir bereits jetzt mit den Vorbereitungen für die Bundestagswahl im kommenden Februar.
Was sind die größten Schwierigkeiten, die die Verwaltungen zu meistern haben?
Das sind zunächst einmal die gleichen Aufgaben, vor denen wir immer stehen. Wir müssen die Räumlichkeiten organisieren, die Briefwahlen vorbereiten und natürlich ausreichend Wahlhelferinnen und Wahlhelfer zur Besetzung der Wahllokale finden. So kurz vor der Hochphase der Fastnacht wird das noch einmal schwieriger als ohnehin schon.
Sind in der Kürze der Zeit überhaupt genügend freiwillige Wahlhelfer und Wahlvorstände zu finden?
Das ist immer eine schwierige Aufgabe. Zunächst suchen wir natürlich Bürgerinnen und Bürger, die sich bereit erklären, am Wahltag in den Wahllokalen oder bei der Auszählung der Briefwahlstimmen zu helfen. Hier sind auch die engagierten Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker gefragt. Reicht das noch nicht aus, werden wir unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Verwaltungen suchen. Wenn man auf ganz Deutschland schaut, dann stellt sich die Lage vor allem in den großen Städten vielfach besonders schwierig dar. Die Stadt Berlin hat beispielsweise bei der Europawahl in diesem Jahr die Helferinnen und Helfer mit bis zu 120 Euro entschädigt. Das kann für Auszubildende oder Studenten dann durchaus attraktiv sein. Allerdings sollte der Dienst an unserer Demokratie als Motivation im Vordergrund stehen.
Klar ist aber auch, dass die „normale“ Verwaltungsarbeit weiter gehen muss. Haben Sie Befürchtungen, dass in der Zeit bis zu der Bundestagswahl andere wichtige Themen auf der Strecke bleiben?
Wir wollen versuchen, das zu vermeiden. Aber es ist klar, dass gerade in den Wahlämtern der Städte und Gemeinden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Hochdruck arbeiten werden.
Zu einem anderen Thema: Während die Wahlorganisation eine kurzfristige Kraftanstrengung verlangt, ist die Schuldenproblematik in den rheinland-pfälzischen Kommunen ein seit Jahrzehnten bekanntes Ärgernis. Die Landesregierung hat jetzt einen Entschuldungsfonds von über drei Milliarden Euro aufgelegt – reicht das? Was sind die mittel- und langfristigen Forderungen des Gemeinde- und Städtebundes an Bund und Land, um die Städte und Gemeinden finanziell dauerhaft zukunftsfest zu machen?
Die Übernahme der hälftigen Liquiditätskredite durch das Land Rheinland-Pfalz war eine gewaltige Kraftanstrengung. Wissend, dass der enorme Schuldenberg durch eine Unterfinanzierung der kommunalen Haushalte, aber insbesondere durch nicht ausreichend gegenfinanzierte Leistungsgesetze entstanden ist, hat die Koalition auf Bundesebene ihrerseits die hälftige Übernahme dieser Kredite vereinbart, falls die Länder das ihre tun. Die Umsetzung dieser Vereinbarung wurde insbesondere durch das Finanzministerium des Bundes verhindert. Da setzen wir unsere Hoffnungen in die neue Bundesregierung.
Mittlerweile hat die Finanzmisere auch die früher so finanzstarken Kommunen im Süden des Landes erreicht. Die Kommunen werden in diesem Jahr ein Finanzierungsdefizit von über 15 Milliarden Euro aufweisen. Hinzu kommt ein Investitionsstau auf kommunaler Ebene i.H.v. über 180 Milliarden Euro. Das führt unweigerlich zu einem Substanzverlust an kommunaler Infrastruktur, Schulen, Kitas, Feuerwehrhäuser, Straßen, Schwimmbäder, etc.Wir brauchen eine strikte Einhaltung des Konnexitätsprinzips, das heißt: wer bestellt bezahlt. Das gilt sowohl für Landesgesetze wie auch für Bundesgesetze. Hier müssen die Länder über den Bundesrat für die Interessen ihrer Kommunen einstehen. Und wir benötigen einen wirklich ernsthaften Abbau von Bürokratie und Standards, um wieder Entscheidungsspielräume bei unseren Entscheidungen zu bekommen. Nur so kann kommunal Selbstverwaltung im eigentlichen Sinne realisiert werden.
Ein letzter Punkt: Die Zentralisierung und Digitalisierung standardisierter Vorgänge wie beispielsweise KFZ-Zulassungen, Personalausweise etc., also Vorgänge, in denen keine wirklichen Entscheidungen getroffen werden, sondern nur regelhaft vollzogen wird, würde uns helfen, die Personalengpässe zu überwinden, indem wir die Kolleginnen und Kollegen an anderer Stelle einsetzen.
Der Text ist zuerst in vorwärts kommunal im Landesteil Rheinland-Pfalz erschienen.