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Ukrainische Geflüchtete sind in Deutschland zunehmend integriert

Eine Studie hat die Situation von Geflüchteten aus der Ukraine untersucht. Die Mehrheit hat Deutsch gelernt und eine Wohnung gefunden, auch der Anteil der Erwerbstätigen steigt. Doch es gibt Hürden, welche die Integration unnötig erschweren.

von Carl-Friedrich Höck · 4. März 2025
Zwei Frauen mit ukrainischen Flaggen in der Karlsruher Innenstadt, aufgenommen im Februar 2025

Zwei Frauen mit ukrainischen Flaggen in der Karlsruher Innenstadt, aufgenommen im Februar 2025

Mehr als 1,2 Millionen Menschen sind aus der Ukraine nach Deutschland geflohen, seit das Land im Februar 2022 von Russland angegriffen wurde. Wie es den Geflüchteten hierzulande ergangen ist, beleuchtet eine neue Studie. Die Ergebnisse geben auch Aufschluss über Handlungsbedarfe auf kommunaler Ebene.

Die Studie zur Lebenssituation und Teilhabe ukrainischer Geflüchteter in Deutschland wurde am Montag in einem Online-Pressegespräch vorgestellt. Für die Untersuchung wurden rund 3.400 Ukrainer*innen befragt. Die Befragungen fanden zwischen Juli 2023 und Januar 2024 statt. An dem Projekt beteiligt waren das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) sowie das Sozio-Ökonomische Panel (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

Stabilere Strukturen

Die Institute konnten unter anderem Folgendes herausfinden:

Familienstrukturen: Vor allem Frauen und Kinder sind aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Drei von vier erwachsenen Geflüchteten sind Frauen. Seit den ersten Kriegsmonaten hat sich aber manches verändert. Denn mittlerweile leben zwei Drittel der erwachsenen Geflüchteten in festen Partnerschaften. Der Anteil der Frauen zwischen 20 und 49 Jahren, die mit minderjährigen Kindern, aber ohne Partner in Deutschland leben, hat sich mehr als halbiert: Von 46 Prozent im Jahr 2022 auf 20 Prozent in der zweiten Jahreshälfte 2023.

Arbeitsleben: Mit zunehmender Aufenthaltsdauer in Deutschland steigt die Erwerbsquote – also der Anteil der erwerbsfähigen Ukrainer*innen mit Job. 13 Monate nach der Ankunft lag sie noch bei 13 Prozent, nach knapp zwei Jahren in Deutschland stieg sie bereits auf 31 Prozent. Frauen finden deutlich später eine Arbeit als Männer. Besonders häufig finden Ukrainer*innen hierzulande Jobs in Bereichen wie Reinigung, Speisenzubereitung, Erziehung und Sozialarbeit. Auffällig ist, dass ukrainische Geflüchtete häufig ein hohes Bildungsniveau vorweisen können: 75 Prozent haben einen Berufs- oder sogar Hochschulabschluss.

Großes Fachkräfte-Potenzial

Viele bringen Qualifikationen mit, die hierzulande besonders gefragt sind, etwa im Gesundheits- und Bildungssektor. Sie könnten also den Fachkräftemangel lindern, doch einige Hürden stehen ihnen im Weg, wie Yuliya Kosyakova vom IAB erläuterte: Bürokratie verhindere, dass ausländische Abschlüsse anerkannt werden. „Flexible Arbeitszeitangebote, Unterstützung beim Spracherwerb, frühzeitige Arbeitsmarkt- und Berufsberatung und die Ausweitung von Kinderbetreuungsangeboten könnten die Integration von ukrainischen Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt beschleunigen.“ Was die Jobsuche zusätzlich erschwert: Für Geflüchtete aus der Ukraine hat die Bundesregierung einen Schutzstatus festgelegt, der im März 2026 ausläuft. Wie es danach weitergeht, ist unklar. Manche Arbeitgeber hält dies davon ab, Menschen aus der Ukraine einzustellen oder in ihre Weiterbildung zu investieren.

Sprache: Hier zeigen die Integrationskurse Wirkung, welche die meisten Geflüchteten besucht haben. Zum Zeitpunkt der Einreise hatten 78 Prozent der Ukrainer*innen überhaupt keine Deutschkenntnisse. Mittlerweile gibt jede*r Zweite an, mindestens ausreichend Deutsch zu sprechen.

Deutsches Bildungssystem nicht allen geläufig

Kinderbetreuung: Kinder ukrainischer Eltern besuchen etwas seltener eine Kita als im deutschen Durchschnitt. Bei den Unter-Drei-Jährigen liegt die Betreuungsquote bei 23 Prozent, bei den drei- bis sechsjährigen Kindern bei 76 Prozent. Sabine Zinn vom SOEP schlägt vor, alternative Betreuungsmodelle zu fördern, damit mehr Mütter eine Arbeit aufnehmen können. „Dabei könnten kooperative Betreuungsnetzwerke und ehrenamtliche Initiativen eine entscheidende Rolle spielen.“

Schule: Spezialklassen für ukrainische Kinder sind mittlerweile die Ausnahme. Der Großteil wird in Regelklassen unterrichtet. Rund die Hälfte der Kinder und Jugendlichen nimmt nicht nur am deutschen Schulunterricht teil, sondern parallel auch an ukrainischen Kursen. Die Forscher*innen vermuten, dass ukrainische Kinder nicht immer die Schule besuchen, die ihrem tatsächlichen Leistungsvermögen entspricht. Im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt besuchen auffällig viele ukrainische Kinder eine Haupt- oder Mittelschule. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Eltern sich im deutschen Schulsystem zu wenig auskennen. Bessere Informationsangebote könnten helfen, dieses Problem anzugehen.

Wohnraum: Die meisten Geflüchteten (83 Prozent) wohnen mittlerweile in privaten Wohnungen und Häusern.

Gesundheit: Der Zugang zum Gesundheitssystem wird prinzipiell als gut bewertet. Ein Problem ist, dass die Geflüchteten häufiger mit Depressionen oder Angststörungen zu kämpfen haben als die Durchschnittsbevölkerung. Die Autor*innen der Studie empfehlen, niedrigschwellige psychotherapeutische Angebote und psychosoziale Beratung auszubauen.

Fehlende Informationen verunsichern

Der Informationsbedarf vieler Ukrainer*innen sei groß, erklärte Nataliia Lichkonenko während der Online-Vorstellung der Studie. Lichkonenko ist Ingenieurin und selbst aus der Ukraine geflüchtet. Ihre Landsleute kennten sich im deutschen Bildungs-, Steuer- und Gesundheitssystem nicht gut aus und wüssten oft nicht, wo sie fragen oder einen Rat bekommen können. „Wir fühlen uns wie kleine Kinder in der großen Welt“, schilderte sie deren Verunsicherung. Das deckt sich mit Daten aus der Studie. Zum Beispiel gaben 73 Prozent der ukrainischen Geflüchteten an, dass sie bei den Anerkennungsverfahren mehr Unterstützung und Informationen benötigen.

Die eigene Zukunft zu planen, fällt vielen Ukrainer*innen schwer. Dies machte Lichkonenko am eigenen Beispiel deutlich. Sie hat eine ältere Tochter, die in der Ukraine geblieben ist, und einen elfjährigen Sohn, der in Deutschland ans Gymnasium geht. Er spreche gut Deutsch und sei glücklich hier. Deshalb sei es eine schwierige Frage, wo sie ihre eigene Zukunft sieht.

Die Studie hat auch dazu Erkenntnisse geliefert. Demnach plant die Mehrheit der Geflüchteten, langfristig in Deutschland zu bleiben. Von den Ukrainer*innen, die zwischen Februar und Mai 2022 in Deutschland angekommen sind, sagen das 59 Prozent. Von denjenigen, die später nach Deutschland gezogen sind, wollen sogar 69 Prozent langfristig hierbleiben. Rückkehrpläne hängen allerdings von vielen Faktoren ab: dem Kriegsverlauf, der wirtschaftlichen Entwicklung im Heimatland und letztlich auch der Frage, ob es dort dann noch genügend Wohnungen gibt.

 

Mehr Informationen:
Forschungsbericht Lebenssituation und Teilhabe ukrainischer Geflüchteter in Deutschland auf bamf.de

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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