„Wir blicken durch die Familienbrille“
Die Stadt Hamm hat sich konsequente Familienfreundlichkeit auf die Fahnen geschrieben. Davon zeugt ein Familienrathaus, in dem alle wichtigen Services zu finden sind, sowie eine speziellen Internetseite. Was möglich ist, wenn eine Verwaltung umdenkt, erklärt Oberbürgermeister Marc Herter im Gespräch mit der DEMO.
MKJFGFI NRW / S. Schürmann
Stolz auf den Preis für die „Familienkommune 2024“ des Landesfamilienministeriums: OB Marc Herter (mi.) neben Josefine Paul, Familienministerin des Landes Nordrhein-Westfalen (li.) „Das Familienrathaus ist das Symbol geworden für die Familienfreundlichkeit, die wir uns auf die Fahnen geschrieben haben“, so Herter.
DEMO: Herr Herter, Was macht das Konzept eines Familienrathauses so besonders?
Marc Herter: Wir wollen das Leben der Menschen in der Familie einfacher machen. Bei uns ist deshalb ein Gang zur Verwaltung für alle Familienangelegenheiten ausreichend. Man findet alle Angebote im Familienrathaus vor. Das funktioniert wie eine One-Stop-Agency. Meist ist damit gemeint, dass man der Wirtschaft einen roten Teppich ausrollt und Informationen gebündelt anbietet. Wir haben gesagt, warum rollen wir nicht einfach Familien den roten Teppich aus.
Und woher stammt die Idee dafür?
Die stammt aus der Corona-Zeit. Das filigrane Geflecht, das sich viele Familien aufgebaut haben, um den Familienalltag zu bewältigen, ist damals an seine Grenzen gestoßen. Da haben wir überlegt: Was können wir als Verwaltungsbehörde dazu beitragen, es Familien einfacher zu machen? Daraus ist die Strategie entstanden, dass wir als Stadt familienfreundlich sein wollen in den Bereichen Bildung und Betreuung, in den Freizeitangeboten, beim Wohnen – also in allen Lebenslagen, wenn man so will.
Welche Herausforderungen mussten Sie bei der Umsetzung dieses innovativen Ansatzes überwinden, nachdem die Idee geboren war?
Die erste Herausforderung war die althergebrachte Verwaltung. Die kennt kein Familienrathaus, sondern nur klassische Ämter mit immer noch römisch benannten Dezernaten. Außerdem gibt es in den Dezernaten das berühmte Silo-Denken, nämlich die Konzentration auf die Arbeit im eigenen Dezernat. Kommt ein anderes Dezernat auf einen zu, wendet man sich erst mal ab und behandelt das so, als wenn es eine fremde Organisation wäre. Also haben wir als erstes ein übergreifendes Familienamt gegründet und dort Zuständigkeiten für Bildung, Soziales, Jugend und Gesundheit gebündelt. Daraus ist dann das Familienrathaus entstanden, in dem wir die Prozesse an einem Ort zusammengeführt haben. Wichtig ist, zu betonen, dass wir nicht Abteilungen, sondern Prozesse zusammengeführt haben, die mit Familie ganz ursächlich zu tun haben. Professor Bogumil von der Universität in Bochum war mit der Begleitung dieses Prozesses beauftragt, und zwar sowohl mit der konzeptionellen Begleitung als auch mit der Begleitung der Moderation im Hause.
Wurden die beteiligten Dezernate auch verändert?
Die Grundlage war, dass wir die Perspektive verändert haben und jetzt alles durch die Familienbrille betrachten. Wir sehen es aus der Sicht der Familien, nicht aus der Sicht der Verwaltung. Wir haben geprüft, in welchem Amt welche Leistungen so familienorientiert sind, dass wir sie im neuen Familienrathaus bündeln. Das macht am Ende Familienfreundlichkeit aus. Um das mal an einem Beispiel deutlich zu machen: Selbstverständlich bleibt die Situation, wenn jemand eine Mülltonne für zusätzliche Windeln braucht, in der Abfallwirtschaft. Wir haben auch das Einwohnermeldeamt, das bei uns in Bürgerämtern organisiert ist, nicht aufgelöst. Aber die Dinge, die sehr stark auf Familie fokussiert sind, sind jetzt im Familienrathaus am Start, etwa Kolleg*innen aus dem Standesamt oder der Kinderbetreuung. Wir haben auch schon in einer zweiten Stufe definiert, welche Leistungen nach einer bestimmten Zeit zusätzlich hinzukommen sollen. Zum Beispiel die Teams, die sich bei uns im kommunalen Jobcenter um die Alleinerziehenden kümmern und um die Bedarfsgemeinschaften mit Kindern.
Sie sind mit 35 Mitarbeitern gestartet. Wie viele sind es jetzt mittlerweile?
Es sind jetzt weitere zehn dazugekommen, die gesamte Kitaabteilung. Das Familienrathaus wird auch in ein neues Gebäude umziehen. Der jetzt von uns definierte Endausbau wird etwa bei 140 Kolleginnen und Kollegen liegen.
Wie wird es angenommen von den Bürgerinnen und Bürgern?
Wir sind begeistert davon, dass so viele Familien davon Gebrauch machen. Das hat aber auch etwas damit zu tun, dass wir andere Behörden eingeladen haben, Sprechstunden anzubieten, etwa die Familienkasse oder die Arbeitsagentur, die nicht in Hamm beheimatet ist. Bewährt hat sich auch die Theke, die im Eingangsbereich steht und als erste Anlaufstelle dient. Ganz viele Dinge werden schon an dieser Theke erledigt. Dann braucht man gar nicht mehr zu einer Sachbearbeiterin oder einem Sachbearbeiter zu gehen, wie man das aus der klassischen Verwaltung kennt. So trennen wir ein bisschen die einfachen Fragen von den Fragestellungen, die intensiver zu bearbeiten sind. Darüber hinaus haben wir das Familienrathaus digital nachgebildet, einen „digitalen Zwilling“ erzeugt. Hier stehen alle Prozesse auch digitalisiert zur Verfügung. Familien sind ja in besonderer Weise darauf angewiesen, auch jenseits der Öffnungszeiten mit den Ämtern Kontakt aufnehmen zu können. Genau dafür haben wir extra dieses eigene Internet-Portal geschaffen.
Und wird dabei schon ein Chatbot eingesetzt?
Noch nicht, aber das ist genau der Ort, wo wir den ersten Chatbot einsetzen wollen. Das wird insgesamt für die Verwaltungsdigitalisierung ein Pilotprojekt.
Sie haben den Landespreis „Familienkommune 2024“ bekommen. Hat das Familienrathaus bei dieser Ehrung eine Rolle gespielt?
Ja, das Familienrathaus war ein bisschen der Anker dafür, weil es das Symbol geworden ist für die Familienfreundlichkeit, die wir uns auf die Fahnen geschrieben haben. Wir sind natürlich stolz darauf, dass wir den Preis bekommen haben. Aber noch stolzer sind wir darauf, dass Familien uns sagen: Ihr macht unser Leben einfacher. Wir merken: Familien haben eine enorm große Wertschätzung dafür, dass eine Kommune sie in den Mittelpunkt stellt.
Ralf Bauer
ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.