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Renaissance für verwaiste Bahnhöfe

SPD-geführte Städte in Sachsen-Anhalt verbünden sich mit Privatinvestoren, um den ÖPNV wieder sicherer zu machen
 

von Harald Lachmann · 7. Oktober 2024
Gardelegen Bahnhof

140 Jahre ist der Bahnhof Gardelegen alt. Nun wird er umfassend saniert.

Deutschland und seine Bahn, das ist nicht erst seit der Fußball-EM ein peinliches Kapitel. Vielschichtig sind die Gründe für den Niedergang des Staatsunternehmens, das einst maßgeblich Anteil hatte, deutsche Tugenden wie Fleiß und Zuverlässigkeit in alle Welt zu tragen. Neben Personalabbau und Streckentod gehörte ab 1999 auch der Verkauf von 2.831 der 3.507 Bahnhofsgebäude dazu. Am härtesten traf es Sachsen-Anhalt, wo 310 der 328 Bahnhöfe abgestoßen wurden – 96 Prozent. Entsprechend abweisend wirken die meisten Haltepunkte und laden zu Vandalismus, Schwarzfahren, Kriminalität ein. Allein in Sachsen-Anhalt stieg von 2021 zu 2022 die Zahl der Gewaltdelikte auf Bahnsteigen um 37 Prozent auf 463 Straftaten, darunter Landfriedensbruch, Nötigungen, Tötungsdelikte. 

Auch das veranlasste jetzt den Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zu einem scharfen Positionspapier. VDV-Präsident Ingo Wortmann, Chef der kommunalen Verkehrsbetriebe in München, fordert darin unter anderem, den ÖPNV in die polizeiliche Kriminalstatistik sowie das Umfeld der Stationen in gezielte Präventionsmaßnahmen aufzunehmen. Mit den Kommunen müsse man Wege finden, die Präsenz von Polizei, Ordnungs- und Sozialbehörden im ÖPNV zu verstärken. Überdies sollte die Speicherdauer für Videoaufnahmen in Fahrzeugen und an Haltestellen bundesweit 30 Tage betragen.

Nicht zuletzt müssten sich die Verkehrsbetriebe „verpflichten, Bahnhöfe, Haltestellen und Fahrzeuge mit hoher Aufenthaltsqualität bereitzustellen, Sicherheit durch Präsenz und Meldemöglichkeiten zu gewährleisten und Regelverstöße zu ahnden“. Auch weil man jede Fahrt, „die jemand nicht antritt, weil ihn ein Gefühl des Unbehagens davon abhält, in der Kasse“ spüre, so Wortmann.

Ingo Wortmann

Jede Fahrt, die jemand nicht antritt, weil ihn ein Gefühl des Unbehagens davon abhält, spürt man in der Kasse.“

Sachsen-Anhalt setzt hierbei zuerst auf private Initiative. So arrangieren sich mehrere Kommunen mit Investoren, ­allen voran Christian und Jenny Schulz. Das junge Paar aus Tangermünde erwarb im Land bereits mehrere Bahnhöfe, die sich zuvor in kommunaler Betreuung befanden, so in Magdeburg-Neustadt. Die Station in Salzwedel sanierten sie bereits schmuck, und auch in zwei sozialdemokratisch regierten Mittelzentren praktizieren sie ihr offenbar tragfähiges Geschäftsmodell: Zerbst und Gardelegen.

Pläne für „Lesebahnhof“ in Zerbst

In Zerbst hatte Bürgermeister Andreas Dittmann (SPD) nach schlechten Erfahrungen mit einem Vorbesitzer neuen Mut geschöpft, als er das Paar kennenlernte. Den denkmalgeschützten Bahnhof empfand er zuvor als einen „Angstraum“: Jeder Besucher halte „den Atem an, wenn er aus dem Zug steigt und das Bahnhofsgebäude sieht“. Und auch ­Christian Schulz gab sich bald optimistisch: Er habe sich bei Dittmann während der ersten ­Gespräche gut aufgehoben gefühlt. „Es ist einfach schön, wenn die Stadt bei solchen Projekten auch mitzieht“.

So soll der Zerbster Bahnhof nicht nur wieder hell und freundlich einladen, sowie Fahrkartenverkauf, Wartebereich, Bistro und Toiletten bieten, sondern im Obergeschoss die Zerbster Stadtbibliothek aufnehmen. Einen ähnlichen „Lese­bahnhof“ hatte das Paar bereits im ebenfalls SPD-geführten brandenburgischen Luckenwalde umgesetzt. Doch obwohl die Landesregierung für solche Bahnhofsprojekte mit Zuschüssen aus dem Strukturstärkungsgesetz lockt und auch die landeseigene Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt GmbH (NASA GmbH) einen Topf dafür stiftete, verzögert sich der geplante Baubeginn vorerst. Die ­Rede ist von „bürokratische Hürden“ in den Genehmigungsbehörden.

Umbau statt Abriss in Gardelegen 

Anders in Gardelegen, wo sich Bürgermeisterin Mandy Schumacher (SPD) schon über Baugerüste rund um den 140 Jahre alten Bahnhof freut. Auch sie verhandelte konstruktiv mit Familie Schulz, so dass im Juni gut 870.000 Euro aus dem ÖPNV-Investitionsprogramm des Landes (Revita) in die Stadt flatterten. Für fast vier Millionen Euro wollen die Investoren neben einem Wartebereich auch Gastronomie samt öffentlicher Toiletten im historischen Palmensaal schaffen und damit das Gebäude auch wieder sicherer für die Passagiere gestalten. Vorgesehen ist ebenso eine Fahrradunterbringung. Und auch in Gardelegen sucht man noch Partner für die Nutzung des Obergeschosses.

Im Vorfeld der Sanierung war ­Mandy Schumacher auch mit Alternativen konfrontiert worden. Die Stadt solle besser das Bahnhofsgebäude „für kleines Geld kaufen“ und danach abreißen, hieß es etwa im Finanzausschuss der Hansestadt. Doch sie lehnte ab, auch unter Verweis auf den Denkmalstatus. Stattdessen kündigte sie nun an, die 4.300 Euro, mit denen Gardelegen für „erfolgreiche Schadenprävention“ durch eine Versicherung prämiert worden war, gezielt für die Aufwertung des Bahnhofsvorplatzes zu verwenden, etwa mit Rosenrabatten.

Autor*in
Harald Lachmann

  ist diplomierter Journalist, arbeitete zunächst als Redakteur bei der Leipziger Volkszeitung, zuletzt als Ressortleiter Politik, und schreibt heute als freier Autor und Korrespondent für Tages-, Fach- sowie Wirtschaftszeitungen. Für die DEMO ist er seit 1994 tätig.
 
 

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